"Heimat kann sich verändern"


Diskurs

Emily Messing: Was bedeutet Heimat für Sie und warum sollten wir über das Thema Heimat sprechen?

Anne Verena Freybott: Heimat ist eine Mischung aus vielen Faktoren. Gerade als Kind bekommt man viel mit – durch die Sozialisierung und die kulturelle, soziale und räumliche Umgebung. Ich glaube, dass Heimat sich verändern kann, aber ich denke, dass das, was man von Beginn an mitbekommt, prägend ist. Ich komme gebürtig aus Hamburg und sobald jemand Norddeutsch spricht, bin ich da, ob ich will oder nicht. Heimat hat viel mit Menschen und Lebensabläufen zu tun. Man kann sehr viele „Heimaten“ haben, was auch im Stück „Haydi! Heimat!“ so transportiert wird. Gerade in Deutschland ist es wichtig, über den Begriff zu sprechen, weil dieser hier negativ geprägt ist und heute von der Neuen Rechten aufgegriffen und instrumentalisiert wird. Ich finde, der Begriff sollte zurückerobert werden und zwar dahingehend, dass Heimat etwas ist, was prägt und was bewegt. Die Menschen, mit denen ich zu tun habe, die sind im besten Fall meine Heimat.

Melis Içten: Welche Rolle hat die Herkunft der Schauspieler bei der Auswahl gespielt? 

Anne Verena Freybott: Bei Kinderstücken ist mir wichtig, dass die Schauspieler einen besonderen Zugang zu den Figuren haben. Die Herkunft der Schauspieler ist für mich irrelevant. Ich finde, ein Schauspieler kann alles spielen, wenn er es richtig macht.

EM: Sie haben sowohl Kinderstücke als auch Erwachsenenstücke inszeniert. Inwiefern unterscheidet sich die Herangehensweise an die unterschiedlichen Formate?

Anne Verena Freybott: Kinder sind ein ganz tolles Publikum, aber auch ein gnadenloses. Wenn ich für Kinder inszeniere, schaue ich, was vielleicht gestrichen werden könnte. Denn, wenn etwas nicht richtig funktioniert, geht die Aufmerksamkeit der Kinder verloren. Umgekehrt reagieren sie sofort, wenn etwas gut funktioniert und beachten keinerlei Theaterkonventionen. Das ist wahnsinnig dankbar, aber man sieht auch auf Anhieb, welche Fehler gemacht wurden. Bei der Arbeit gucke ich dementsprechend genauer auf das Publikum. Deshalb ist es unerlässlich, vor der Premiere eine Probevorstellung mit Kindern stattfinden zu lassen. Die Verantwortung der kulturellen Bildung ist mir sehr wichtig, auch bei den Erwachsenenstücken, aber dort sind für mich die Ästhetik, die Erzählweise und das Spiel der Schauspieler zentral, weniger die Reaktion des Publikums.

MI: Haben Sie nach einer Probevorstellung schon einmal etwas radikal verändert?

Anne Verena Freybott: Ja. Im Kinderstück Heute hier, morgen dort gab es an einer Stelle ein meditatives Element. Da sind uns die Kinder eingeschlafen und waren danach nicht mehr ansprechbar. Wir haben den Teil dann komplett gestrichen, was sich als absolut richtig erwiesen hat.

EM: Warum sind Sie der Meinung, dass Haydi! Heimat! den KinderStücke-Preis gewinnen sollte?

Anne Verena Freybott: Das Stück zeigt auf angemessene Art und Weise, wie sich Kinder in einer diversen Welt ihren Ruhepol, ihre Heimat selbst schaffen können. Außerdem gibt es gerade im Kindertheater zu wenig Stücke, die lustig sind. „Haydi! Heimat!“ finde ich extrem lustig. Obwohl es nicht mit der Moralkeule prügelt, bringt das Stück das Thema Heimat auf leichte Art und Weise rüber. Es ist kein Problemstück, behandelt aber doch ein schlimmes Problem. Es betrachtet das „Danach“, wie man sich nach der Migration als Gesellschaft weiter stärken kann.