"Wir denken zu rasch"


Kolumne

Vor der Inszenierung ist nach der Inszenierung. In diesen drei Wochen geht es immer wieder von vorne los. Aber was genau passiert in den Zwischenräumen? Bahnhöfe, Bäckerstände, Kaffee to go, Zebrastreifen, Leute gleiten aneinander vorbei, die Kasse im Supermarkt, die Anzeigetafeln der U-Bahn. Linker Fuß vor den rechten Fuß, immer weiter. Und dazwischen? Wird das Dazwischen von unseren Gedanken gefüllt? Diese Frage erinnert mich an ein Zitat von Friedrich Nietzsche aus der „Fröhlichen Wissenschaft“.

„Wir denken zu rasch, und unterwegs, und mitten im Gehen, mitten in Geschäften aller Art, selbst wenn wir an das Ernsthafteste denken; wir brauchen wenig Vorbereitung, selbst wenig Stille – es ist als ob wir eine unaufhaltsam rollende Maschine im Kopfe herumtrügen, welche selbst unter den ungünstigsten Umständen noch arbeitet. Ehemals sah man es jedem an, daß er einmal denken wollte […]: man zog ein Gesicht dazu wie zu einem Gebet und hielt den Schritt an; ja man stand stundenlang auf der Straße still, wenn der Gedanke ,kam’(…).“

Jetzt kann ich nicht umher, mich zu fragen: Wann habe ich denn das letzte Mal einfach nur gedacht? Einfach nur über einen Text nachgedacht, ohne dabei schon den nächsten zu lesen. Einen Eindruck auf mich wirken lassen, ihn reflektiert, ohne währenddessen schon neue Eindrücke auf mich wirken zu lassen? Wann habe ich das letzte Mal die unaufhaltsam rollende Maschine bewusst eingeschaltet? Grübeln, Gedanken schweifen lassen, nachsinnen, in sich gehen, assoziieren, rätseln, Fragen stellen, nach Antworten suchen.

Ruft denn nicht auch genau dazu jedes einzelne der nominierten Stücke auf seine eigene Art und Weise auf?