Verzweiflung und Spießertum


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Shakespeare, Molière und Dürrenmatt – all die großen Namen der Komödien werden heute vor allem dafür gefeiert, dass sie Humor mit ernsthaften Themen verbinden konnten. Die Inszenierung des Theater Basel von Regisseurin Nora Schlocker bei den Mülheimer Theatertagen und Regisseurin Jette Steckel vom Deutschen Theater aus Berlin bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen beleuchten verschiedene Seiten desselben Stücks. Laut Schlocker habe Palmetshofers Text „Ebenen von Komödien, Poesie und großer Dramatik“, wie sie es bei dem Publikumsgespräch in Mülheim ausdrückte. Je nachdem, welche dieser Elemente Regie, Schauspieler:innen und Bühnenbildner:innen betonen, treten mal die dunkleren, mal die heiteren Eigenschaften des Dramas stärker hervor. Steckels Inszenierung setzt auf schlichte, berührende Charakterentwicklung, die Baseler betonen die Komik des Textes und das tragisch-schockierende Ende.

Figuren: innige Umarmungen vs. ironische Distanz

Eines der zentralen Motive in Palmetshofers Text ist die Beziehung zwischen Figuren – zwischen Familienmitgliedern, zwischen Paaren, zwischen alten Freunden, zwischen den Menschen allgemein. Und deswegen ist es nicht erstaunlich, dass die Regisseurinnen Schlocker und Steckel einen je anderen Zugang zu diesem Thema gefunden haben: Steckel inszeniert das Bedürfnis nach Nähe und das tragische Scheitern daran, Schlocker die passiv-aggressive Ironie mancher Familienkonversationen und die immer größer werdende Distanz.

So scheinen die Figuren in der Berliner Inszenierung wesentlich verletzlicher. Sie reden ohne Ironie, werden nur passiv-aggressiv, wenn sie sich zurückgewiesen fühlen, und liegen sich nach Streits leidenschaftlich, fast verzweifelt in den Armen. Am deutlichsten ist die Verletzlichkeit von Martha, deren Depression Franziska Machens schmerzlich unironisch spielt: Sie wälzt sich energielos über die Bühne, als hätte sie keine Kraft aufzustehen, schlurft müde mit Schwangerschaftsbauch umher, schickt ihren Mann in Tränen aufgelöst mit stolzer Stimme fort, wimmert aber im nächsten Moment wieder wie ein Kind und fleht ihn an, sie festzuhalten. Diese Martha macht keine Witze, wenn sie sagt, sie sei mit Depressionen und in anderen Umständen so furchtbar „umständlich“ – sie meint es bitterernst.

In der Baseler Inszenierung spielen die Schauspieler hingegen vor allem distanziert. Sie sprechen in genervt-ironischer, humorvoller Distanz miteinander und stehen oft räumlich so weit voneinander entfernt, wie die Bühne es zulässt. Auch die von Myriam Schröder gespielte Martha hat eine wesentlich härtere Schale. Mit fester Stimme und klarem Gang, schnellem Sprech- und Schritttempo erfüllt sie nicht das klassische Bild einer Depressiven. Wenn sie weint, dann ist es übertrieben und fast lustig, wie kleinschrittig sie ihrem Ehemann erklären muss, wie er sie richtig in den Arm nehmen solle. Erst am Ende des Stückes bricht über eine Katastrophe all ihre Verletzlichkeit aus ihr heraus.

Bühnenbild: schwarze Leere vs. gelb-grünes Gefängnis

So verschieden die beiden Bühnenbilder aussehen mögen, so gleichermaßen passend sind sie für dieses Stück. Ganz in der Tradition, nur die schlichten Figurenbeziehungen zu erzählen, ist der Bühnenraum in Recklinghausen schwarz und abgesehen von einer runden Drehbühne leer. Das Bühnenbild der Baseler Inszenierung ist aufwendiger: eine gelb-grüne Hausfassade, in der das große Fensterloch mit einem Vorhang der gleichen Farbe verschlossen ist, oder die ebenso gelb-grünen Innenräume, die lediglich mal durch einen Tisch oder eine im Hinterraum angedeutete Treppe aufgebrochen werden. Die Räume bleiben hier flach, zeigen kaum Tiefe.

Die düstere Einfachheit des Berliner Bühnenbilds ist bestechend und zeigt schlichte Hoffnungslosigkeit. In der Schwärze gibt es nichts, woran Zuschauer oder Figuren sich orientieren oder festhalten können, ebenso wie auch Palmetshofers Figuren vergeblich nach einem Hoffnungsschimmer in ihrem Leben suchen. Die sich, wann immer der Dialog neue Fahrt aufnimmt, weiterdrehende Bühne zeigt die ständige Entwicklung in die immergleiche Richtung, das stetige Auseinanderdriften der Figuren, die Verhaltensmuster und Rituale, die im Familienleben zu eingespielt sind, um sich noch einmal zu ändern. Und doch erinnert das Knarzen, Knacken und Quietschen, das sie immer mal wieder von sich gibt, daran, wie instabil diese künstlich konstruierte, kleine Scheinwelt des heilen Familienlebens ist.

Das Baseler Bühnenbild hingegen verfolgt einen anderen Ansatz. Die gelb-grüne Farbe schafft die spießige, ungemütliche Stimmung eines Büroraums und das Bild funktioniert stark durch seine Enge. Den Schauspieler:innen bleibt im Gegensatz zur Berliner Inszenierung nur wenig Platz zum Agieren: Wenn sie den Tisch umrunden wollen, müssen sie sich an ihren Mitspieler:innen vorbeiquetschen, Szenen, in denen sie viel hin und her gehen, sind meistens im Garten vor der Hausfassade angelegt. Die beklemmende, bedrückende Enge der Familienbande und des für so viele Personen zu kleinen Hauses wird sofort spürbar.

Außerdem sind die vielen Frontebenen wichtig: die Hausfassade, die Vorhänge, die Wohnungstür, hinter der immer wieder Figuren verschwinden. All diese Elemente zeigen, wie wichtig Fassaden in diesem Stück sind. Wie verzweifelt die Familie Krause, allen voran Stiefmutter Annemarie, versucht, den Schein eines perfekten Lebens aufrecht zu erhalten, der aber einem genaueren Blick nicht standhalten kann. Diese Erkenntnis kommt jedoch erst zum schockierenden Ende: Wenn der Kindersarg von Sanitätern herausgetragen wird und Martha wie ein Tier schreit, befinden sich die Figuren zum ersten Mal in einem Raum mit perspektivischer Tiefe.

Ein Ende mit Schrecken vs. ein Schrecken ohne Ende

Einer der größten Unterschiede der Inszenierungen ist somit die Gewichtung des Endes. Während sich in der Berliner Inszenierung die Katastrophe am Ende gleichbleibend in die Tragik der Ereignisse zuvor einordnet und somit nur das logische Schicksal für die kaputten Figuren und die Verzweiflung ist, auf das die Bühne ständig zudreht, ist es in der Baseler Inszenierung der klare Höhepunkt: Das zuvor heiter-spießige Bühnenbild wird düster und die humorvollen Dialoge verstummen. Lediglich Marthas Schreie über den Tod ihres Kindes durchbrechen die Dunkelheit bis zum titelgebenden Sonnenaufgang.