28. Mai 2018 •
Stücke-Blog: „Am Königsweg“ ist Ihre erste Inszenierung eines Stückes von Elfriede Jelinek...
Falk Richter: Fast, ich habe mal eine Bearbeitung gemacht. Elfriede Jelinek hat „Bunbury. The Importance of Being Earnest“ von Oscar Wilde überschrieben („Ernst ist das Leben. Bunbury“ – Elfriede Jelinek nach einer Übersetzung von Karin Rausch, Anm. d. Red.) und das habe ich am Akademietheater in Wien inszeniert. Aber „Am Königsweg“ ist tatsächlich das erste richtige Jelinek-Stück, die erste Textflächenkaskade.
Ich habe mich gefragt, wieso gerade jetzt? Und was ist für Sie als Regisseur spannend an Textflächen?
Sie hat eben jetzt ein neues Stück geschrieben und Karin Beier hat mich angerufen und gefragt, ob ich es inszenieren möchte. Ich fand das eine interessante Herausforderung, einen unglaublich spannenden Text, auch einen schwierigen Text. Aber es sind alles Themen, die mich selber als Autor sehr interessieren und interessiert haben in den letzten Jahren: die Verschiebung der politischen Landschaft, die Verschiebung der Diskurse hin zu einem rechtsnationalen Diskurs, dem Abschmelzen der Demokratie, der Frage, was das eigentlich für neue Herrscher sind, die die demokratischen Gesellschaften gerade extrem verändern. Das ist alles drin in dem Text von Frau Jelinek und insofern fand ich das ein tolles Angebot. Und zu der Frage, was ist interessant daran, an Jelinek zu arbeiten: Also erst einmal ist es wirklich eine Auseinandersetzung mit einem sehr starken Text, der teilweise kryptisch ist, der ab und zu auch sehr zugänglich ist, der sich durch unterschiedliche Formen bewegt. Es ist der postdramatischste Text, den ich je in den Händen gehalten habe. Innerhalb eines Satzes kann die Sprecherperspektive zwei- oder dreimal wechseln. Innerhalb eines Satzes gibt es unterschiedliche Sprechfiguren mit Rede und Gegenrede und der Perspektive der Autorin. Und Jelinek schert sich überhaupt nicht mehr darum, dass alles klar geordnet ist und man das alles so nachvollziehen kann. Das überlässt sie einem selbst.
Ja, es steckt viel Jelinek-Sprechposition in dem Text...
In dem Stück redet sie viel über sich, ja. Sehr präsent ist die Autorin mit ihrer Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, der nicht mehr vorhandenen oder Alters-Sexualität. Ich finde es sehr mutig, was sie uns da alles mitteilt. Ich denke, das ist auch inhaltlich begründet, weil sie im selben Alter ist wie Donald Trump. Sie schreibt über ihn an einigen Stellen total explizit und es wird klar, dass das zwei komplett unterschiedliche Lebensentwürfe sind. Der Mann spricht vor Tausenden von Menschen, twittert für ein Millionenpublikum, schickt seine Botschaften unentwegt nach draußen. Und dann sie, die natürlich auch eine berühmte Frau ist, die aber komplett zurückgezogen lebt, bei der man sich niemals vorstellen könnte, dass sie auf einem Podium steht und Tausende von Menschen begeistert – dazu hat sie nicht die Rhetorik und das ist ihr völlig bewusst. Ihr ist auch völlig bewusst, dass sie eigentlich zu kompliziert schreibt, um von Menschen, die Donald Trump zujubeln, verstanden zu werden. Und sie erkennt an, dass sie diese Leute nicht erreichen kann.
Ich finde bei Jelinek spannend, was sie alles für Referenzen einfließen lässt. Tagesgeschehen, Christentum, klassische Antike. In „Am Königsweg“ nutzt und dekonstruiert sie auch wieder antike Figuren und Konzepte. Was bezweckt sie damit und was bedeutet die Antike Ihrer Meinung nach noch für dieses Europa, in dem wir uns befinden?
In „Am Königsweg“ geht es ganz konkret um König Ödipus. Ödipus als der Herrscher, der eigentlich angetreten ist, das Land von der Pest zu befreien, das Volk zu retten. Und dann stellt man fest: Er ist es, der für diese Pest verantwortlich ist, sein Tun hat diese Krise herbeigeführt. Das bezieht sie ganz direkt auf die autokratischen Herrscher, die das Problem sind und nicht lösen werden. Ich beschäftige mich selber mit der Frage, was europäische Werte heute sind. Plötzlich werden sie von den Rechtsnationalen, den Gegnern der Aufklärung, den Gegnern der offenen, säkularen Gesellschaften ins Spiel gebracht, von denen, die die Demokratie zerstören wollen und eine autoritäre Einparteienherrschaft installieren wollen wie es sie in Polen, in Ungarn, in Russland bereits gibt! Sie beziehen sich auf klassische Konzepte, aber ihre Anrufung der europäischen Werte bleibt eine leere „Gebrabbel“-Rhetorik, hinter der nichts steckt. Diese Menschen sind gegen die Aufklärung, einen der wichtigsten europäischen Werte. Georg Seeßlen hat einen Text darüber geschrieben, wie sie wirklich nur noch „brabbeln“. Es ist schwierig, auf dieses rechtsnationale Gebrabbel ernsthaft einzugehen, weil es dabei im Kern um die Dekonstruktion von Sprache und Inhalt geht, um die Auflösung von Bedeutung und von Werten, um die Unmöglichmachung einer Diskussionskultur im Allgemeinen. Mich interessiert Europa als eine Stätte der Demokratie, als eine offene Gesellschaft, mit einer garantierten Freiheit der Kunst und der Freiheit des Wortes und die daran geknüpften Fragen: Wie lange hält sich dieses freie Europa noch und wie kann man das aktiv verteidigen, angesichts dieser enormen antidemokratischen Kräfte, die ja gerade so viele Menschen in ihren Bann ziehen und die öffentliche Diskussion sowohl vergiften als auch bestimmten. Und wie kann ich das als Künstler zum Thema machen?
Europa war in der Antike eine Königstochter, die von Zeus in Stiergestalt verführt wurde. Ihr Buch, das beim Verlag Theater der Zeit erschienen ist und fünf Ihrer aktuellen Stücken beinhaltet, heißt „Ich bin Europa“ – warum Europa personifizieren?
Ich fand es sehr reizvoll, im Theater Europa mit all der Widersprüchlichkeit auftreten zu lassen. In einigen Stücken ist Europa eine Figur, zum Beispiel in meinem Stück "Safe Places", gespielt von der großartigen Schauspielerin Constanze Becker. In anderen Stücken taucht Europa als völlig diverser, sich ständig gegenseitig bekämpfender Stimmenchor auf. Aggression und Gewaltbereitschaft steigen in den Auseinandersetzungen, regelrechte Onlinekriege finden in den Kommentarspalten der sozialen Medien statt. Mich interessiert das Erbe des imperialistischen Europa, das während der Kolonialisierung andere Kulturen vernichtet und ausgebeutet hat, um seinen eigenen Wohlstand zu schaffen, den es heute so sehr verteidigen will. Der europäische Wohlstand gründet auf der Auslöschung und der Ausbeutung anderer Kulturen - auch heute noch. Europa ist sehr um die eigene Sicherheit bemüht, will seine Grenzen schützen, hat Angst vor "den Fremden" und ist in seiner Identität gerade völlig verunsichert und erschüttert und weiß nicht, wohin es sich in den nächsten Jahren bewegen soll. Das ist natürlich eine theatrale Setzung, Europa sind ganz viele unterschiedliche Menschen, aber ich fand es interessant, Europa als Person auf die Bühne zu bringen. All die Zerrissenheit und all der Widerspruch, aber auch der Machtanspruch und Kreuzfahrer-Gestus: Die Welt zu erobern mit dem Glauben, man würde das Leben anderer Menschen „verbessern“, indem man ihre Kulturen zerstört.
Sie haben gerade gesagt, dass Europa natürlich keine Person ist. Aber wenn sie eine Person wäre, hätten Sie dann Fragen an sie?
Ja, ich würde sie fragen, ob sie nachts noch gut schlafen kann.
In ihren Stücken wie zum Beispiel „Je suis Fassbinder“ werden auch sehr viele Fragen gestellt, Jelinek stellt in „Am Königsweg“ viele Fragen. Reicht es, im Theater Fragen zu stellen oder muss es auch eine Perspektive bieten?
Beides. Es ist ja so: Wenn ich als Theatermacher eine Antwort gebe, wird mir vorgeworfen, dass dies zu einfach sei, dass es Zeigefinger-Theater sei. Wenn ich keine Antworten gebe, wird mir vorgeworfen, dass ich sie schuldig bleibe und es mir zu einfach machen würde. Die Lösung kann nur sein, sich den wichtigen Fragen ganz persönlich zu stellen, was auch Jelinek macht: Sie redet über sich. Letztlich ist doch die Frage, was bedeutet das Politische eigentlich für mich persönlich? Wie würde ich mich jetzt verhalten? Ich finde es darüber hinaus wichtig, Fragen im Theater zu stellen, die sonst nicht gestellt werden. Oder sich mit einer Frage länger zu beschäftigen, als das in den meisten anderen Medien möglich ist. Wenn man sich hinstellt und Antworten gibt, dann wird es agitatorisch, aber wenn man Diskussionen anregt und sich in Auseinandersetzungen mit den Zuschauern begibt, einen Dialog entfacht, dann wirbelt das viel auf und macht neues Denken möglich. Manchmal geht es einfach darum, einen Perspektivwechsel zu schaffen, Sichtweisen zu hinterfragen. Ein Einzelschicksal auf der Bühne zu zeigen im Gegensatz zu einer vorurteilsbehafteten Allgemeinsicht, kann dahingehend schon viel bewirken.
Bei ihren Stücken sind das ja dann auch oft die persönlichen Europa-Bezüge oder Geschichten der Beteiligten...
Genau, es gibt ja nicht das eine europäische „Wir“, das ist im Moment das wichtigste, was man begreifen muss: Dass „das Volk“ nicht existiert, sondern es ist eben komplex und divers. Das von den Rechten gerade imaginierte eine "Volk" als ein in sich geschlossener Körper mit einer einheitlichen Meinung gibt es derzeit nicht, es müsste erst innerhalb einer Diktatur, die keine abweichende Meinung, keine abweichenden Lebensentwürfe zulassen würde, geschaffen werden. Die große Frage ist eigentlich, wie man die ganzen unterschiedlichen Menschen und Lebensentwürfe überhaupt noch auf einem Kontinent zusammenhalten kann, ohne dass sie sich gegenseitig zerfleischen. Bei der neuen Rechten geht es viel um Provokation: den Gegner ständig so stark zu provozieren, dass er sich wehrt und losschlägt, damit man dann um so aggressiver zurückschlagen kann. Aber eigentlich geht es um etwas anderes, denke ich: dass man begreift, dass man das Andere akzeptieren muss. Das Andere hat einen Wert, genau wie ich. Es ist nicht so, dass ich als einziges existieren darf, sondern die anderen dürfen es ebenso – auch, wenn ich sie nicht verstehe. Das gehört zu menschlicher Reife dazu: zu begreifen, dass ich nicht alles andere, was noch so existiert, verstehen kann – aber ich muss es irgendwie leben lassen.