Die Durchlässigkeit der Stücke


Kritik

Noch 27 Stunden bis zur Eröffnung der 43. Mülheimer Theatertage. Im Foyer der Stadthalle rumort’s. Es wird gebohrt, gebaut und hergerichtet. Vorhänge zieren die Raummitte. Dünne, weiße Fäden hängen herunter, dahinter sieht man die Ruhr im Schein der Sonne glitzern. Blaue Bänke laden zum Ausruhen ein und Texte zum Stöbern. Doch von Ruhe keine Spur. Im Hintergrund hört man eine Nähmaschine und einen Bohrer. Es gibt noch viel zu tun. Aber Bühnenbildnerin Cordula Körber, die Künstlerin der Spielortgestaltung, bleibt gelassen: „Wir haben heute noch zwei Stunden und morgen den Tag, das reicht.“

Cordula Körber gestaltet die Spielorte der „Stücke“. Bald wird die Arbeit eines fast ganzen Jahres beendet sein. Ideen und Fotos sammelt sie intensiv seit Dezember 2017 und seit Februar steht das Konzept. Dieses Jahr geht es um die „Schnittstelle zwischen Theater in Form eines Vorhangs und des Autors in Form eines Buches“, erklärt sie. Diese Schnittstelle wird in den Installationen mit durchlässigen Vorhängen dargestellt, die wie ein Buch geformt sind. Jedes der sieben Stücke hat seinen eigenen Vorhang.

Einladung zum Selberschreiben

Neben den Titel sind auch prägnante Zitate aus den jeweiligen Werken ausgestellt. Zum Beispiel aus „Fräulein Agnes“ von Rebekka Kricheldorf: „Du würdest mit deiner Durchlässigkeit sehr gut in meinen Kosmos passen.“ Cordula Körber möchte außerdem die Zuschauer:innen anregen, selbst in den Büchern zu stöbern und Zitate aufzuhängen. „Auf den Bänken werden die Bücher ausliegen. Stifte und Blätter liegen bereit, auf die man selber Zitate aufschreiben kann.“ So werden die Besucher:innen eingeladen, in die verschiedenen Stücke hineinzulesen und selbst auf Spurensuche zu gehen. Am Ende werden die Vorhänge im Idealfall voller Eindrücke und persönlichen Leseerlebnissen sein. „Die KinderStücke haben noch einmal eine andere Form“, berichtet die Künstlerin. Sie haben einen gemeinsamen Vorhang, beschrieben mit allen Stücktiteln und Autor:innen.

Bei den Mülheimer „Stücken“ steht das geschriebene Wort im Mittelpunkt, es geht um die Autor:innen und ihre Texte. Die Bedeutung von Worten zeigt Cordula Körber neben den Zitaten auch durch eine Projektion. Lose Worte, Namen und Theaternamen fliegen durch das Bild, bis sich ein Zitat mit Autor:innenname und das Theater, dessen Inszenierung gezeigt wird, zu einem Bild formieren. Man rätselt mit, bildet selber Sätze im Kopf und kann hinterher schauen, ob die Überlegung stimmt. So geht jede:r Betrachter:in den Worten selber auf den Grund. „Das macht alles ein Programm“, erklärt Cordula Körber, „es ist Zufall, welche Worte und welches Zitat auftauchen.“

Weiß und Blau

Nicht nur in der Stadthalle, auch in den anderen Spielorten wird sich das Thema durchziehen. Der Stil und die Handschrift der Künstlerin sind erkennbar. Diese Chance nimmt sie gerne wahr. Schon zum vierten Mal übernimmt sie die Gestaltung der „Stücke“. In den vorherigen Jahren standen die Buchstaben, die Schreibtische der Autor:innen und das Werk des:der Autors:Autorin im Vordergrund. In diesem Jahr ist es die Schnittstelle. Auch farblich gibt es eine Veränderung: Die Farbe Weiß spiegelt sich bei den Vorhängen wieder, blau sind die Sitzbänke und Markierungen auf dem Boden.

Zurück in der Stadthalle: Bevor man in den Werken der Autor:innen stöbern kann, gelangt man durch die Lounge der Stadthalle. Die Lounge ist das Erste, was man in der Spielstätte sieht. Auch hier hängt für jedes Stück ein Vorhang. Doch es geht nicht primär um das geschriebene Wort, sondern um das Feedback. Pressestimmen von den jeweiligen Inszenierungen wurden gesammelt und aufgehangen. So kann man erste Eindrücke und Kritiken von Pressevertreter:innen erhalten und nach dem Stück revidieren. Hatte man den gleichen Eindruck oder stimmt man überhaupt nicht zu? „In der Lounge soll man ankommen“, meint Cordula. Ankommen beim Festival. Ankommen bei den Stücken. Ankommen mit anderen Menschen. Doch bis zur Eröffnung wird noch weiter an Kissen genäht, die Vorhänge gerichtet und der Boden beklebt.