28. Mai 2017 •
Bei den nach Mülheim eingeladenen Autorinnen und Autoren ruft die Umsetzung ihrer jeweiligen Stücke sehr unterschiedliche Meinungen hervor. Manche wollen mit ihrem Text gar nichts mehr zu tun haben, andere sind bei der Inszenierung involviert. Haben Sie Nicolas Stemanns Inszenierung von „Wut“ gesehen (oder stehen Sie sogar in Kontakt mit ihm)? Wenn ja, wie finden Sie diese und was löst es in Ihnen aus, Ihre Stücke auf der Bühne zu sehen?
Auf der Bühne kann ich meine Stücke gar nicht sehen, weil ich an einer Angsterkrankung leide und nicht ins Theater, also unter größere Menschenmengen, gehen kann. Ich bin auf DVDs angewiesen. Ich bin also in die Inszenierung gar nicht involviert. Das entspricht aber auch meinem Konzept von Theater, das nicht einfach die Bühne für einen Text ist, sondern erst im Zusammenwirken von Text, Regie und Schauspieler:innen, Bühnenbild und, vor allem, weil es mich am meisten interessiert, Kostümen entsteht. Es wird also etwas draus, das ich vorher nicht kennen kann. Sonst würde mich Theater auch nicht interessieren, denn was ich mir dazu gedacht habe, weiß ich ja. Ich bin mit Nicolas Stemann in Kontakt, aber ich sage ihm niemals, was er tun soll. Im Gegenteil, wenn wir uns treffen, zeigt er mir manchmal am Laptop, was er vorhat, Probenausschnitte etc.
Ihr WUT-Text ist für mich überfordernd und macht mir an manchen Stellen Angst, gleichzeitig berührt er mich in seiner Unerbittlichkeit, sich der Wut, der Gewalt und dem Terror in der literarischen Fiktion zu stellen.
Ist Angst (vor Gewalt, Terror, der Welt etc.) ein Motor für Ihr Schreiben, oder eher etwas, das man überwinden muss?
Ich könnte von mir sagen, ich wäre von Angst bestimmt. Aber seltsamerweise kann ich diese Angst beim Schreiben ablegen, sonst könnte ich sie ja auch nicht als meinen Gegenstand fassen. Es wäre schön, wenn man Angst überwinden könnte, aber leider überwindet sie mich. Im Schreiben kann ich mich aber sozusagen über sie stellen, während sie im Leben auf mir draufsteht. Vielleicht kann man aber auch diese starken Gefühle, von denen Sie sprechen, nur aktivieren, wenn man mit ihnen, also auch der Angst, vertraut ist.
Wenn es darum geht, den aktuellen politischen Diskus zeitnah zu Papier bzw. auf die Bühne zu bringen, dann gelten Sie oft als Maßstab für eine schnelle Umsetzung. Sie reagieren mit Ihren Texten unmittelbar auf politische Ereignisse. Glauben Sie, dass Theater/Literatur Veränderungen bewirken kann und soll?
Also erstmal: Nein, ich glaube nicht, daß Theater oder Literatur unmittelbar Veränderungen hervorrufen kann. Was die Umsetzung aktueller Ereignisse betrifft, so höre ich meist das Gegenteil, man müsse sie sich erst mal in Ruhe setzen lassen und abwarten, um sie überblicken und fassen zu können. Ich mache aber das Gegenteil. Ich reiße sie, noch blutend, könnte man sagen, der Geschichte aus dem Maul und imaginiere sie weiter, assoziiere andre Ereignisse mit ihnen etc. Meist mache ich also das Lächerliche (wie Donald Trump) groß, ich mache ihn zu einem König, und das Große mache ich klein. In „Wut“ zum Beispiel stelle ich den Wutanfall einer betrogenen Frau, also etwas Privates, neben die Morde an harmlosen und hilflosen Karikaturisten eines Satireblatts. Und oft schreibe ich diese aktuellen Stücke auch weiter („Wut“ zum Beispiel habe ich durch einen „Bataclan“-Text erweitert).
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Theaters? Hat es eine und wenn
ja, wie wird diese – alle Wünsche außer Acht gelassen – wohl aussehen?
Natürlich hat es eine Zukunft. Etwas, das so alt ist wie das Theater, wird es immer geben, das ist keine Frage für mich. Ich wünsche mir für mich persönlich, daß das Theater, das man das literarische nennen könnte, neben aktionistischeren Formen bestehen bleiben kann. Und die vielen jungen Autor:innen, die prononciert literarisch, also sprachlich bewußt, schreiben, machen mir da Hoffnung.
Beim Blick auf die Geschichte der Mülheimer „Stücke“ sticht die Vielzahl Ihrer Einladungen und Auszeichnungen heraus. Wie würden Sie sich selbst Ihre starke und fortwährende Präsenz bei den „Stücken“ erklären? Was empfinden Sie angesichts dieser? Und wie beurteilen Sie die Bedeutung des „Stücke“-Festivals in Bezug auf die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik?
Natürlich macht es mich froh, daß ich in meinem Alter immer noch nach Mülheim eingeladen werde. Das heißt für mich, daß ich irgendeinen Körperteil immer noch ein bißchen an den Puls der Zeit halten kann, wer weiß, wie lange noch. Also ich bin stolz darauf, denn ich habe mich ja nicht selber eingeladen, das macht eine Jury, und die jeweilige Jury hat mich eben so oft eingeladen. Ich denke auch, daß diese Theatertage wichtig sind, denn, siehe oben, sie beschäftigen sich mit dem sprachzentrierten Theater, das auch meines ist.