Eine klare Gewinnerin


Kritik

Viel Debatte gibt es nicht in diesem Jahr. Jurymitglied Florian Fiedler musste wegen einer „absoluten Notsituation in der Familie“ leider vorzeitig abreisen. Stattdessen liest Festivalleiterin Stephanie Steinberg seine eingeschickten Statements an den entsprechenden Stellen vor. Aber auch sein schriftliches Votum weicht wenig von den Meinungen des Journalisten und Auswahlgremiumssprechers Thomas Irmer und der Übersetzerin Iwona Nowacka ab.

Das Urteil der Jugendjury

Doch bevor die Juroren überhaupt die Bühne betreten, verkünden ihre jugendlichen Kollegen das Urteil der Jugendjury. Den zweiten Platz belegt hier Georg Pillers und Nadja Siegers „Aus die Maus“ für die Thematisierung des Verhältnisses von Schauspiel und Realität. Gewinner der Jugendjury ist Roland Schimmelpfennigs „poetisches“ Stück „Die Biene im Kopf“, weil es viele „Szenen, aus denen Kinder etwas lernen können“ beinhalte.

Gesucht: Sprachliche Innovation

Mehr Rede- und Erklärungszeit erhalten die Erwachsenen. Als Kriterien für den Juryentscheid nennt Nowacka Innovation, Spielbarkeit, Sprache, Form, Poesie, Dramaturgie und Botschaft. Hohe Ansprüche, an denen – wie sich sehr schnell herausstellt – einige Stücke scheitern. Insgesamt äußern sowohl Irmer als auch Nowacka für die Zukunft den Wunsch nach mehr Sprachexperimenten. Dennoch betont die Jury, dass alle Stücke zu Recht eingeladen wurden. Nowacka würde in ihrer Tätigkeit als Übersetzerin gerne alle Stücke nach Polen zu bringen. Nur ins Finale können nicht alle Stücke kommen. Das gibt auch die Form der Jurydebatte vor: In einer ersten Diskussionsrunde müssen drei von fünf Stücken ausgeschlossen werden. Und am Ende darf nur ein alleiniger Sieger gekürt, der Preis nicht geteilt werden.

Man beginnt mit dem ersten Autor im Alphabet: Marc Becker und sein Stück „Die Glücksforscher“. Irmer fasst sich kurz. In zwei Sätzen erklärt er, er habe „andere Präferenzen“. Auf Nachfrage erläutert er, dass das Stück das behandelte Thema nicht weit genug nach vorne bringe. Zudem sei das märchenhafte Ende sehr konventionell. Für Nowacka ist „Die Glücksforscher“ das Stück, was sie am meisten zwiegespalten habe. Positiv hätten sie Format und Dynamik der Inszenierung gestimmt, die eine gegenüber der Verlagsfassung leicht abgeänderte Textfassung verwendet. Da aber nun einmal das Original bewertet werde, sei das Stück auch für sie kein Finalist. In seinem Statement bemängelt auch Fiedler die im Vergleich zu den anderen Stücken zurückbleibende dramatische und sprachliche Qualität . Also raus damit – es geht alles sehr schnell heute.

Das nächste Stück, das es nicht ins Finale schafft, ist Julia Penners „Der dicke Sternschnuppe“. Auch hier ist sich die Jury einig: trotz wichtigen Themas nicht ausreichend Innovation in Sprache und Konstruktion. Auch Pillers und Siegers „Aus die Maus“ scheitert auf dem Weg ins Finale an mangelnder sprachlicher und dramatischer Innovation. Die anderen Juroren stimmen Irmer hier zu: Nowacka findet den Text „zu wortwörtlich“, für Fiedler ist das Stück zu „klassisch erzählt“ und vermittelt eine etwas „zu naive Sicht“.

Das Finale

Damit stehen die beiden Finalisten sehr schnell fest: Roland Schimmelpfennigs „Die Biene im Kopf“ und Tina Müllers „Dickhäuter“. Ersteres wähle eine unkonventionelle sprachliche Form und ermögliche der Inszenierung viel Spielraum.

Es ist schon keine Überraschung mehr, dass sich die Jury auch hier einig ist und die Entscheidung schnell fällt: Trotz der vielen positiven Aspekte verfestige „Die Biene im Kopf“, in dem es um das Kind alkoholsüchtiger, arbeitsloser Eltern geht, auch einige Klischees – ein Kritikpunkt, den alle drei Jury-Mitglieder aufgreifen.

Innovation und Inklusion

Damit steht eine Gewinnerin fest. Tina Müllers Stück überzeugt durchgängig. Der Außenseiterstatus werde durch eine innovative Metapher – das Nashorn Lou kommt in eine Schuklasse – verbildlicht. Wenn sich am Ende auch alle anderen Kinder als Tiere entpuppen, überrasche diese „einfache aber pointierte Wendung“ (Fiedler) auch erwachsene Zuschauer und Jurymitglieder.

Irmer lobt, dass im Stück eine soziale Problematik auf komplexe, vielschichtige Weise behandelt werde. Es werde vertieft, was Außenseitertum alles bedeuten kann. Auch dass das Geschlecht von Lou in Text und Inszenierung nicht klar definiert ist, spreche für die Stärke und Komplexität des Stücks. Fiedler sieht das Stück insgesamt als Plädoyer für Inklusion. Damit schließt er sich, ohne es zu wissen, Nowacka an: Insgesamt gehe es um Gemeinschaft, darum, wie sie entsteht und gut funktionieren kann. Das Resümee? Tina Müllers Stück ist innovativ, komplex und zugänglich gestaltet. Es vermittelt eine wichtige Botschaft für die heutige Zeit.

Die Gewinnerin Tina Müller im Gespräch mit Marie-Luise Eberhardt und Henrike Reintjes.

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