Was Mütter danach denken


Gespräch

Für die erste Publikumsdiskussion zu „Und dann kam Mirna“ nehmen auf dem Podium derart viele große und kleine Menschen Platz, dass Moderator Michael Laages, mit frischer Kurzhaarfrisur, sich beim Vorlesen der Namen besonders stark konzentrieren muss. Auch diesmal holt er die Zuschauer keinesfalls direkt bei ihren Ich-komme-gerade-aus-dem-Stück-und-mir-brennt-was-auf-der-Seele-Gefühlen ab, sondern stellt zunächst selbst einleitende Fragen. Diese betreffen das Pilotstück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ und das Casting der vier jungen Mädchen Sarah Böcker, Aydanur Gürkan, Fée Mühlemann und Annika Weitzendorf. Sibylle Berg kündigt das Projekt über die vier Frauen als lebenslange Serie an: „Wir machen weiter, bis wir 90 sind.“

Rehabilitierung verletzlicher Superheldinnen

Sie antwortet von Beginn an in ihrer gewohnt verschmitzten, grundehrlichen Weise und zieht damit die ohnehin wohlwollenden Zuhörer noch weiter in ihren Bann. Die Tatsache, dass die Mütter-Töchter-Verhältnisse des Stücks trotz aller Eskapaden auf tiefster zwischenmenschlicher Zuneigung beruhen, wird umso deutlicher ersichtlich, als die Autorin selbst „ihre“ zauberhaften Zöglinge hingerissen beäugt. Im Folgenden kommen die sehr konkreten Aussagen der Frau Berg über ihr neues Stück, ob man nun erklärter Fan ist oder nicht, aufschlussreich und sympathisch daher. So habe sie beispielsweise die „Superheldinnen-Pause“ im deutschen Theater beenden wollen; militanter Feminismus oder Väter-Bashing seien ihr dabei weniger wichtig gewesen als „kaputtbare“ Heldenmütter, die mit all den Giftmischerinnen, Mörderinnen, Huren und Schlampen der klassischen Theaterstücke nichts gemein hätten.

Die Arbeitsweise von Regisseur Sebastian Nübling, der in Mülheim von der Produktionsdramaturgin Katja Hagedorn vertreten wird, kam ihr dabei wohl ebenso entgegen wie die engagierten, multikulturellen, energiegeladenen Schauspielerinnen des Maxim Gorki Theaters Berlin. Suna Gürler meint zum Beispiel bezüglich der extremen Bühnenagogik: „Für mich ist dieses Sich-Hinschmeißen sehr hilfreich“. So gelingt es der Sibylle-Berg-Inszenierung mithilfe ihres motivierten Ensembles, zu zeigen, wie Selbstverwirklichungsdrang an seine Grenzen stößt, sobald Verantwortung in unser Leben tritt. Denn das, sagt sie, sei ihr „persönlicher Spaß“ gewesen.

Zwischen Beschimpfung und Euphorie

Zustimmendes Raunen und gelegentliche Lacher der verbliebenen Zuschauer sind an diesem Abend keine Seltenheit. Besonders die elfjährige Aydanur Gürkan begeistert mit ungekünstelter „cuteness“, als sie den Spieß umdreht und dem Publikum ihrerseits Fragen stellt im Stile von: „Wie alt haben Sie uns geschätzt?“ Zehn – vierzehn – zwölf, ruft es sogleich von allen Seiten. Sibylle Berg bleibt charmant, indem sie jeden Beitrag ernst nimmt, Fragen mitunter erst an die Dramaturgin weiterleitet („Sag Du was Schlaues, Du hast studiert“) und erheiternde Kommentare von sich gibt: „Ich glaube schon, dass viele Kinder Spießer sind!“. Die erwachsenen Schauspielerinnen sagen leider nicht allzu viel und geben sich beim Hereintreten sogar peinlich berührt von den individuellen Namensschildern auf dem Podium. Vielleicht ist nach teilweise mehrstündiger Bühnenaction einfach keine sonderliche Beredsamkeit mehr zu erwarten. Rahel Jankowski sagt bedauerlicherweise nicht ein einziges Wort – der sonst alles überblickende Michael Laages hätte das ändern können.

Ein gewissermaßen dramaturgisches Ausrufezeichen des Publikumsgesprächs setzt gegen Ende ein älterer Herr, der das unerträglich abgesunkene Niveau der „Stücke“ im Allgemeinen und der Texte Sibylle Bergs im Konkreten anprangert, indem er sich nach über 30 Jahren „offiziell“ vom Festival „verabschiedet“. Er richtet ein Stoßgebet an Peter Handke und wünscht sich unverblümt eine neue „Publikumsbeschimpfung“. Kollektives Kopfschütteln und schmunzelnder Protest. Nachdem der Besagte den Saal verlassen hat, finden jedoch ausdrückliche Danksagungen einen weitaus versöhnlicheren Ton, bevor Sibylle Berg die Diskussion schließlich mit einem Knicks beendet. Sie sei erfreut, dass man sich für ihr Theaterstück und nicht für das bettgebundene Seriengucken entschieden habe.