Das Trailer-Dilemma


Diskurs

Amerika, 1913. Nils Garlund will als Betreiber eines kleinen Kinos Werbung für das Theatermusical „The Pleasure Seekers" machen, das im Theater der Stadt Premiere feiert. Er schneidet dafür Probenaufzeichnungen des Stücks aneinander – der Trailer erblickt das Licht der Welt. Man könnte also meinen, dass das Trailergenre für den Theaterbereich längst etabliert sei und auf den Internetpräsenzen von Schauspielhäusern und freien Gruppen auf eine lange Tradition zurückblickt. Weit gefehlt, denn so schnell wie der Trailer für den Theaterbereich geboren wird, so schnell verschwindet er vorläufig auch wieder. Für den Film hingegen wird er durch das 20. Jahrhundert hindurch immer wichtiger, weil er beweist: Es ist das eine, einen guten Film zu machen, aber etwas völlig anderes, einen Film gut zu verkaufen. Schnell avanciert der Trailer zum wichtigsten Vermarktungsinstrument für Spielfilme und ist heute aus der Filmlandschaft nicht mehr wegzudenken. Der Trailer entscheidet schon Monate vor der Premiere darüber, ob ein Film gesehen wird oder nicht. Logisch, dass Filmproduzenten diese Verantwortung nicht mehr irgendwelchen Kinobetreibern überlassen können. So ist der Trailer inzwischen ein eigenes Genre, das einen ganzen Wirtschaftszweig beschäftigt. In Firmen, die sich auf das Produzieren von Trailern spezialisiert haben, arbeiten sogenannte Trailereditors – ein neues eigenständiges Berufsbild. Auf YouTube gibt es mittlerweile Kanäle, die sich einzig der Kritik von Filmtrailern widmen. Seit 1999 hat das autonome Genre „Trailer“ mit den „Golden Trailer Awards" sogar eine eigene Preisverleihung.

Formal streng wie ein Haiku

Bei der Konzeption eines Trailers gibt es zwei Herangehensweisen. Meistens greift man das Beste heraus und schneidet es „schön ineinander“. Nicht selten werden dabei alle Highlights eines Films so verschossen, dass der Trailer am Ende besser ist als der ganze Film. Es gibt aber auch noch eine andere Art des Trailers. Sie interessiert sich nicht nur für das Was des Erzählens, sondern noch vielmehr für das Wie. Kann ein Trailer das charakteristische  Gefühl, den besonderen Rhythmus eines Films vermitteln? Die besten Trailer dieser Art nutzen die strengen formalen Auflagen des Formats wie herausragende Dichter die Formstrenge des Haikus. Ein Meister seiner Zunft ist Mark Woollen. Sollte es jemals einen Kanon des Trailergenres geben, müssten seine Arbeiten zu Filmen wie „The Revenant (Quelle: YouTube / 20th Century Fox), Birdman (Quelle: YouTube / 20th Century Fox), The Tree of Life (Quelle: YouTube / 20th Century Fox) oder A Serious Man (Quelle: YouTube / Tobis) darin aufgenommen werden. (Alle diese Filme waren übrigens für den Oscar in der Kategorie Bester Film nominiert – ein Zufall?).  Sein vielleicht eindrücklichstes Meisterstück ist Woollen mit dem Trailer zu The Social Network (Quelle: YouTube / Columbia Pictures) gelungen, für den er prompt den „Golden Trailer Award" gewann.

Darin sehen wir zunächst verpixelte Bilder der Facebook-Welt, während ein unschuldig klingender Frauenchor den ganz und gar nicht unschuldigen Text von Radioheads Song „Creep“ singt (Kostprobe aus den Lyrics: „I don't care if it hurts. I want to have control. I want a perfect body. I want a perfect. I want a perfect soul.”) Dazu kommen O-Töne und Bilder aus dem Film. Sie werden schneller und schneller aufeinander geschnitten, der Mädchenchor wird lauter, bis beide Soundebenen unverständlich übereinander liegen. Darin deutet sich der Konflikt der Filmfigur Mark Zuckerberg an, der zwischen Eigen-und Fremdwahrnehmung steht und darin verzweifelt seinen Platz sucht. Das alles erzählt Woollen in weniger als zwei Minuten. 

Ein Format zwischen zwei Medien

Wie ist es nun um den Theater-Trailer bestellt? Eins steht fest: Film und Theater sind völlig unterschiedliche Medien, und ein Theatertrailer muss anders aussehen als ein Filmtrailer. Nur entlehnt das Theater ja mit dem Trailer ein Format, das dezidiert aus dem Film kommt und mit der gesamten Palette filmischer Mittel hantiert. Deswegen kann im Fall des Trailers der eigentliche Trumpf des Mediums Theater, seine Unmittelbarkeit, nicht gegen die emotionale Berechnung des Films ausgespielt werden. Das führt dazu, dass sich ein Theatertrailer stets an seinem Filmpendant messen lassen muss, zumal nicht nur die technischen Mittel, sondern auch die kommerziellen Motive eines Theatertrailers die gleichen sind: „Ein Trailer ist zuallererst ein Versprechen auf ein großartiges Ereignis, gute Unterhaltung, etwas das man unbedingt gesehen haben muss. Und manchmal auch eine Lüge“, sagt Mario Simon, der Trailer für das Schauspiel Dortmund produziert. Auch Dramaturgin Carola Hannusch vom Schauspiel Essen findet Trailer enorm wichtig für den gegenwärtigen Theaterbetrieb, weil sie potenziell interessierten Zuschauern Lust auf den Theaterabend machen. Zwar sei nicht wirklich messbar, inwiefern Trailer sich auf die Besucherzahlen auswirkten, aber YouTube entwickle sich, mehr noch als Facebook, zum wichtigsten Social Media-Kanal des Theaters.

Die Wuppertaler Firma „Siegersbuschfilm", die quasi seit jeher für nahezu sämtliche Trailer der renommierten Schauspielhäuser in NRW verantwortlich ist, formuliert höchste Ansprüche an die eigene Arbeit: „Für uns muss ein guter Trailer mit filmischen Mitteln die Stimmung oder Haltung einer Inszenierung einfangen. Wir versuchen bei unserer Arbeit, durch das Zusammenführen verschiedener Bild- und Tonspuren die Bühnenintensität spürbar werden zu lassen.“ Offenbar sollte man auch Stücketrailer ernst nehmen und ihnen künstlerischen Respekt zollen.

Noch viel zu lernen

Und wie sehen die Trailer der diesjährigen Wettbewerbsteilnehmer aus? Im Trailer zu Wolfram Hölls „Drei sind wir" (s.u.) fährt die Kamera der Reihe nach die in pinkfarbenes Licht getauchten, liegenden Schauspielerkörper ab, mal im Schnellvorlauf, mal in Zeitlupe. Es erklingt der Sound von weißem Rauschen und ab und zu flackern Schwarzweiß-Blenden auf. Die Schauspieler schauen dabei eindringlich in die Kamera. Im Theater mag das in seiner Expressivität zünden, im Filmformat wirkt es gewollt und platt. Abgesehen davon, dass die „auf Schock gebürsteten Bilder“ kaum Atmosphäre generieren, taucht an keiner Stelle ein konkreter Inhaltsbezug zum Stück auf. Im Umgang mit den filmischen Mitteln kann der Theatertrailer noch einiges vom Film lernen. Umso mehr lohnt es sich, seine junge Entwicklung zu beobachten.