„Alle Gewalt geht von der Familie aus“
Es beginnt mit einer Liebesgeschichte. Mit der Euphorie, den anderen gefunden zu haben. Mit Aufbruch und Ich-Entgrenzung. Bea und Ramin heißen die beiden „Götterkinder“ aus dem thüringischen Krölpa, denen Rainald Goetz in seinem neuen Stück die Möglichkeiten der Liebe einräumt, enthusiasmiert wie einer, der den Empfindungen des ersten Mals von Ferne nachträumt und sie sprachlich auskostet, romantisch, lyrisch, kitschig fast. Doch es geht nicht gut mit den beiden. Verständigungsprobleme, Beziehungskrise, Pärchenstreit. Der „Lebenslauf der Liebe“ endet in der Trennung, befördert von einem Uwe aus der früheren Clique. Er, der Schlägertyp, ist es, mit dem Bea sich schließlich zusammentut, mit dem sie eine Familie gründet und Hochzeit feiert im Kreis der Münchner Großverwandtschaft. Es wird eine toxische Ehe sein, geprägt von Gewalt und Schweigen.
Bea und Uwe – wer da an Beate Zschäpe und ihre zwei Uwes (Böhnhardt und Mundlos) denkt, das rechtsterroristische Trio des NSU, ist auf der richtigen Fährte. Es gibt in „Baracke“ mehrere Anspielungen darauf, Verweise auf deren Anschläge und den Doppelsuizid 2011 in einem Wohnmobil bei Eisenach. Bea und Uwe kommen aus diesem Umfeld. Am Ende, wenn das Stück 30 Jahre später in einer ‚neobürgerlichen Szenerie‘ in der Dresdner Villengegend Weißer Hirsch ankommt, taucht „diese NSU-Geschichte“ wie ein Gespenst aus dem Sumpf des Verschwiegenen und Verdrängten wieder auf und fordert einen Toten. „Du ich ihr wir / Hölle“, lauten die letzten Worte. Sie gelten nicht nur dem geschilderten Familien-Albtraum. Sie sind bei dem sensitiven Gegenwartschronisten Rainald Goetz auch ein Deutschland-Befund.
„ORT Deutschland / ZEIT Im Herbst“, setzt der Autor seinem Stück voran. Deutschland im Herbst, das bedeutete noch nie etwas Gutes. In diesem Fall ist es eine Beschreibung von Hass, Kälte und häuslichem Terror aus mangelnder, misslingender Liebe heraus. „Alle Gewalt / geht von der Familie aus“, lautet eine Kapitelüberschrift. Es ist die Kernthese dieses irrlichternden Textes, in dem Goetz mit hochnervöser ‚Weltwachheit‘ und der ihm eigenen „Highendverbalitiät“ lauter kleine Bestandsaufnahmen von Sprach-, Acht- und Lieblosigkeit macht, von Überforderung und fehlender Anstrengung im Miteinander. „Baracke“ ist kein konzises, leicht zu greifendes Stück. Es ist ein Hybrid aus fiebrig und fickrig mäandernden Sprech- und Denkbewegungen. Ein Konglomerat aus Dialogen, Lyrismen, Gedankensplittern, aus banalem Alltagsgelaber und schlauem Diskursgerede, länglichen Reflexionen und monologischen Blöcken. Unter der Überschrift „Roman deines Lebens“ listet er sogar einen Kassenbon von Rewe auf. Goetz’ Sätze flitzen herum wie die Kugeln in einem Spielautomaten. Manche schießen knallend ins Hirn, manche treffen ins Herz.
Claudia Bossard gelingt in ihrer kunstvoll souveränen Uraufführungsinszenierung die Balance aus Schrecken und Komik, Textgerechtigkeit und eigener Fantasie. Sie stellt Goetz’ „Baracke“ kurzerhand in ein Museum, wo etwas Grunddeutsches in aller Biedermeierlichkeit konserviert wird. Von dort aus lässt sie es spuken.
Christine Dössel