Gegen das Vergessen
Am 26. September 1980 detonierte in einem Münchner Abfallkorb eine Bombe. Ausgerechnet am Haupteingang zum Oktoberfestgetümmel. Und zu einer Zeit, als sich Familien und Teenager auf den Heimweg machten. 13 Tote und weit über 200 Verletzte forderte der Anschlag. Schlimmeres hatte rechtsradikaler Terror seit 1945 bis dato nicht verbrochen, gründlicher hat der deutsche Staatsschutz selten versagt. Heute, da sich gewalttätige Nazi-Übergriffe häufen und der NSUProzess Fragen an den Umgang mit rechten Terrornetzwerken offen gelassen hat, werden die Geschehnisse von 1980 – und vor allem die Trugschlüsse von 1980 – wieder relevanter, als uns lieb ist.
Die Münchner Kammerspiele rekonstruieren „Das Oktoberfestattentat“ aus der Opferperspektive. Die Autorin und Regisseurin Christine Umpfenbach, 1971 in München geboren, hat sechs Überlebenden in Interviews sehr gut zugehört und deren Aussagen dem Ensemble dokumentarisch in den Mund gelegt.
Die Druckwelle erfasst die Opfer, sie schleudern wie in Zeitlupe durch die Luft, das Trommelfell platzt, das Chaos danach erleben sie als surreal. Der zwölfjährige Robert dachte erst, sein Ballon wäre explodiert. Er irrt durch die Menge, den zerfetzten Füßen zum Trotz, findet die kleine Schwester im Sterben, den kleinen Bruder tot. Die Spätfolgen zerreißen die Überlebenden aus Roberts Großfamilie psychisch, aber der Staat schert sich nicht drum, womöglich auch, weil man vom Hasenbergl stammt, einem damaligen Münchner Problembezirk.
Zur Qualität von Christine Umpfenbachs lupenreiner Stückrecherche trägt bei, dass das Ensemble eine schöne Balance zwischen Sachlichkeit und Teilnahme findet. Text und Inszenierung sind zwar auf Empathie aus, aber nie auf Effekte. Auch das himmelschreiende Ermittlungsversagen unter den Augen von CSU-Übervater Franz Josef Strauß belegt das Stück – nüchtern, gründlich, und aus der gerade in ihrer Schlichtheit unanfechtbaren Opfer-Perspektive.
Es gab eine Schnellschussthese vom verwirrten Einzeltäter. Eine rechte Terrorgruppe in seinem Freistaat passte Strauß jedenfalls nicht. Er hatte – und hier gestattet sich Christine Umpfenbach einige satirische Seitenhiebe – einen Ruf als starker Saubermann zu verteidigen. Er brauchte dieses Image für seine Kanzlerkandidatur gegen die sozialliberale Koalition von Helmut Schmidt. Nur neun Tage nach dem Oktoberfestattentat war Bundestagswahl. Strauß scheiterte krachend.
Die Schwerverletzten von der Wiesn kämpften derweil mit Amputationen, mit dem Verlust ihrer Liebsten, mit der Angst unterzugehen. Und als Zuschauer beschleicht einen wie von selbst der Verdacht: Die Terrorfahnder hörten diesen Augenzeugen nie genau zu. Hingegen wurden viele Spuren und alle Erinnerung an ein Attentat auf das größte Volksfest der Welt zu rasch getilgt. Schon am Tag danach war der Tatort frisch asphaltiert. Man wollte weiter feiern, rasch vergessen. Die Opfer aber erinnern sich. Sie leiden bis heute.
Stephan Reuter