1. Juni 2018 •
Bevor die Inszenierungen in der Mülheimer Stadthalle beginnen, ertönen drei Gongs in regelmäßigem Rhythmus. Sie teilen unsere Wartezeit in kleine Stücke, so als handele es sich um Pizza oder um Apfelstrudel. Letzte Toilettengänge, das Beschreiten von rot beteppichten Stufen, Gewusel im Saal, Hinwegsteigen über fremde Knie und Ellenbogen. Bis sich dann hinter dem Vorhang eine neue Zeitdimension offen legt. Innerhalb von 90 Minuten können ganze Schicksale abgehandelt werden, alternativ kann aber auch ein einziger Gedankenschwall in drei, vier oder fünf Stunden aufgedröselt werden. Oft, wenn wir den Theatersaal am Ende verlassen, haben wir das Gefühl, einem Paralleluniversum zu entsteigen. Nach schwindelerregenden Zeitraffern oder betäubender Abwesenheit jeglichen Zeitgefühls kehren wir zurück in die Welt von Bahnzeiten und klingelnden Weckern. Dabei ist doch der Modus der verschobenen Zeiten gar nicht so realitätsfern.
Wer von uns kennt nicht die Stunden zwischen drei und fünf Uhr morgens, in denen Geschöpfe geistiger Natur unseren Kopf wach halten und sich den verstreichenden Minuten störrisch in den Weg stellen? Oder die großzügig gedehnten Sekunden, in denen wir vor dem Toaster stehen und auf das verheißungsvolle Aufspringen des begehrten Objektes hinfiebern.
Und wann zerrinnt die Zeit uns zwischen den Fingern? Vermutlich rennt sie uns davon in den Momenten der Deadlines oder des morgendlichen Kaffees.
Wie kann nur die Formel des Zeitempfindens aufgestellt sein? Richtet sich unser Gefühl für Zeit nach Stress, nach Intensität oder nach Genüssen?
Festzuhalten ist wahrscheinlich nur dies:
So wie ein Autor den Spannungsbogen eines Stückes errichtet, so erbauen wir Menschen uns selbst das Konstrukt unserer Zeit, der schnellen und der langsamen.