Schreiben ist Starren


Kolumne

Nervös laufen meine Finger über die Tastatur. Ohne zu tippen, versteht sich. Ich könnte die Stunde bis zur Inszenierung jetzt noch richtig gut nutzen. Sollte ich. Sollte ich wirklich. Allerdings bin ich sehr damit beschäftigt, beschäftigt auszusehen und gebannt zu starren. Abwechselnd auf den Bildschirm und durch die geöffnete Tür auf die Mülheimer Innenstadt. Wenn ich es nur schaffen würde, meine Gedanken zu fokussieren. Ich ertappe mich dabei, wie mein Blick sich schon wieder völlig stumpf an einer der Bodenplatten festgekrallt hat. Die, wenige Schritte von der Tür entfernt, bei der eine Ecke als Stolperstein hochgedrückt wurde und auf der ein Zigarettenstummel liegt. Ein Fleck Taubenscheiße ist auch drauf, direkt neben dem Zigarettenstummel. Nicht verwunderlich. Meine Augenlider entspannen sich und die Bodenplatte wird unscharf. Sie hat mich hypnotisiert. Wieder einmal hält sie meinen Blick. Wieder einmal hält sie meinen Blick. Wieder einmal hält sie meinen Blick. Wieder einmal hält sie meinen Blick.

Eine Gruppe Halbstarker mit lauter und unglaublich nervtötender Musik läuft vorbei und schafft es, meinen Blick von diesem wirklich faszinierenden Alltagsstillleben zu lösen. Ich spüre eine Mischung aus Entnervtheit und Dankbarkeit. Blick wieder auf das Display. Enttäuscht stelle ich fest, dass im geöffneten Dokument noch immer nur fünf kurze Notizen stehen. Eine davon lautet geistreich „müde“. Als Reaktion darauf stehe ich auf und hole die Kanne. Eine halbe Stunde hab ich noch, kein Problem.

Um wach zu bleiben, trinke ich Kaffee, obwohl ich weiß, dass ich nicht viel davon vertrage. Im Vertrauen zu dem milchig-braunen Helfer tippen meine Finger die nächsten Notizen ab und beginnen, daraus Sätze zu formen, aber das funktioniert nicht. Statt mich zu inspirieren, werde ich nur noch nervöser und kreiere einen Sprachduktus, der viel zu schnell ist, und dem man anmerkt, dass mir die Zeit davonläuft, aber ich kann das jetzt auch schlecht abbrechen, schließlich ist der Kaffee nun einmal in meinem Blut und immerhin bin ich jetzt überhaupt in einem Schreibrhythmus, schließlich ist es meist am schwierigsten, überhaupt einzusteigen, also sollte ich jetzt nicht abbrechen, sondern erst mal weitermachen, überarbeiten kann ich das alles ja später noch, Hauptsache, ich komme voran und eigentlich macht es ja auch viel mehr Spaß, tatsächlich zu schreiben als nur zu überlegen und zu starren und zu überlegen und zu schreiben und zu löschen und wieder zu überlegen und zu starren und neu zu schreiben und also lasse ich den Part mit dem Starren einfach aus und aber aber…langsam!

Durchatmen. Auch schnelle Gedanken wollen wohl überlegt und ausformuliert werden. Bevor sie wieder verloren gehen, mache ich also am unteren Ende des Dokuments Stichpunkte. Seufzend stelle ich fest, dass die Stunde um ist. Um zu sehen, was ich später noch zu tun habe, scrolle ich wieder hoch, reibe mir die Augen und lese. Na, den Part mit dem Löschen und Neuschreiben kann ich wohl nicht auslassen.