Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
hochverehrte Anwesende!
Die Laudatio hat auch einen Titel:
Brandau der entdeckte unentdeckte Autor
Oder Der Schläfer unter den Gegenwartsdramatikern
Geschafft, lieber Autor! Bei den Kleinen des Theaters bist du jetzt ein Großer! Schon wieder lungerst Du herum am Kinder-Katzentisch in Mülheim, dort allerdings als ein bereits ausgewachsener Kater, der seine sprachlichen Krallen ausfährt, thematisch-inhaltlich merklich faucht und theatralische Feuer entfacht.
Zugegeben: Keine einfache Kost. Aber für Kinder bestens geeignet! Es gibt das Bonmot, dass ein Brandau Stück sich erst ab der 7. Lektüre-Wiederholung entschlüsselt, und mit jedem Lese Gang besser wird. Brandau Stücke entfalten ihren Zauber in der Regel überhaupt erst auf der Bühne, heißt es. Sie können sich vorstellen wie beglückt wir darüber im Verlag sind, wir, die wir seine Stücke ja nur trocken lesen dürfen. Und von meinen Lektoren möchte ich sie mir nun wirklich nicht gerne vorspielen lassen. Eine erste Lektüre macht uns bei Brandau also oft ein wenig ratlos! (vielleicht auch den einen oder anderen Dramaturgie Kollegen draußen in der Theaterwildbahn). Brecht sprach davon, dass sich der Pudding beim Essen erweist. Sehr weitsichtig vom Klassiker: aber er kannte Brandaus Texte doch noch gar nicht….
Vielen Dank liebe Mülheim-Jury, zum zweiten Mal nacheinander habt Ihr sein Talent erkannt und geehrt, Ihr so eindeutiges Votum liebe Frau Gronemeyer, Frau Leucht und Herr Mink ist eine besondere Auszeichnung. Man erzählte mir, dass es in der offenen Jury-Diskussion nichts zu rütteln gab an HIMMEL UND HÄNDE. Alle waren sich einig. Mein Gott, wenn das bei Brandaus anderen Werken nur immer so wäre!
Dank auch an die fünfköpfige „Jugend-Jury“: das ist eine besondere Wertschätzung für den Autor und sein Stück, das in der Tat mit seiner offenen Dramaturgie und der besonderen Sprache ja auch so seine Kanten und Ecken hat. Das freut uns als Verlag, der Autor verdient endlich wieder mal Geld mit einem Theaterstück, er freut sich natürlich ebenso, immerhin gilt die Auszeichnung für einen der renommiertesten deutschen Theaterpreise. Dank also auch an die Stadt, die diese Preise vergibt. Frfei nach Thomas Mann: Mülheim leuchtet in diesem Falle, - diesmal nicht meine Heimatstadt München (aber wir können nicht alles haben, unser gutes Bier bleibt uns ja).
Bei den Großen, den sogenannten Erwachsenen, sitzt Brandau eher als der etwas missratene Neffe am Theatertisch, etwas abseits. Einer, der immer wieder frech dazwischen mault, eine FABELHAFTE FAMILIE BAADER oder einfach ein HIER oder PALASTICA oder WIR SIND NICHT DAS ENDE in die Runde wirft - (sie haben es sicher bemerkt, liebe Zuhörer, dass es sich alles um Brandau Titel handelt) - und dabei gerne wie ein ungezogenes Kind überhört wird, oder einfach mit einem: „Ruhe jetzt!“ abserviert wird: “Sie waren doch schon bei den Werkstatttagen an der Wiener Burg, erhielten das Paul-Maar Stipendium, waren bei den Autorentagen im Thalia Theater in Hamburg dabei, beim Autorenlabor des Düsseldorfer Schauspielhauses, bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater in Berlin, ja sogar Berlin! Und und und….. Jetzt halten Sie mal die Luft an, Mister Brandau!“
Wir haben sie schon bemerkt - aber um wirklich bei uns aufgenommen, das heißt gespielt zu werden, reicht es uns noch nicht ganz, sie Wörterverdreher. Da sind sie uns doch ein wenig zu unpolitisch, zu sprachverliebt, wo bleibt ihre Handlung, ihre Haltung, sie räudiger Theaterunderdog: so einfach wie sie sich das vorstellen, sie ehemaliger Heidelberger Regieassistent, sie passionierter Skiläufer in den Österreichischen Bergen, sie Altonaer Mach-Auf-Balkonspezialist und Hans Henny Jahnn Adept, so einfach geht das nicht! Ab erst mal in die Provinz! Nach Halle, Dortmund, Moers, (na gut, auch mal in Stuttgart), an Kellerbühnen in Mannheim, München oder Hamburg, machen sie weiter Ihr wunderbares Altona Festival, aber hauen sie ab von den großen Häusern! Lungern Sie nicht vor unseren Bühnenpforten herum! Hier drinnen sitzen andere Götter / Göttinnen schmatzend am Tisch. Gratulation Herr Höll! Hut ab Frau Berg!
Und Brandau knurrt, brüllt oder schweigt dazu, dreht leise ab, schreibt unermüdlich weiter, wendet sich – angeregt durch die Geburt seiner Tochter und seines Sohnes und einem kongenialen Förderprogramm aus dem KJTZ in Frankfurt - einem jungen Publikum zu. Mehr den Kindern als den sog. Jugendlichen. Einem viel offeneren Publikum. Die unruhig werden, wenn es auf der Bühne langweilig wird. Auch dazwischen rufen. Eigentlich ein klassisches Shakespeare Publikum! Davor als Autor zu bestehen ist nicht ganz einfach. Vielleicht schmeißen die auch noch ihr Pausenbrot auf die Bühne?
Und trotzdem ist ihm das herkömmliche Kindertheater ein Gräuel: wenn Schauspieler Kinder spielen müssen, wird ihm (und mir) oft schummrig: dieses kindliche Getue auf der Bühne! Es verlangt einen hohen Grad künstlerischer Sensibilität, eine erträgliche spielerische Form fürs Kindertheater zu finden. Die Inszenierung aus Aalen hat diesen Grad erreicht.
Im Schreiben und Denken aber bleibt er sich treu. Egal ob für Erwachsene oder Kinder: Brandau verdreht sich nicht. Ein Hamburger Fisch-Kopp eben, manchmal störrisch und stur, hält er an sich fest. Kein Zielgruppentheater. Schreibt sich sogar selbst in die Stücke. Mit all seiner eigenen Verletzlichkeit und Verletzbarkeit, stellt sich selbst aus, bleibt offen und erwartet das auch von den Schauspielern und anderen Künstlern. Er macht Spielangebote, eine ANMASSUNG, bleibt angreifbar und manchmal vielleicht sehr bei sich selbst, immer aber mit einem großen künstlerischen Schreibimpuls, einem deutlichen, sehr eigenwilligen Schreibstil. Lässt ganze Körper oder Körperteile vertauschen, die Identitäten seiner Figuren verschwimmen, manchmal weiss man gar nicht mehr, wer gerade welche Figur ist. Da geht alles KREUZWEISE (auch das ein Titel). Der Brandausche Kosmos eben.
Die Theater des Kinder- und Jugendtheaters entdecken ihn. Dort findet er Verbündete. Den Theatergöttern sei`s gedankt!
Heute darf, muss, soll ich ja vor allem nur über diese theatrale Spielwiese sprechen! Dank an die mutigen Verbündeten: zuerst einmal an Henning Fangauf und das Kinder Jugendtheaterzentrum in Frankfurt, das ihn bereits 2002 zum ersten Mal anspricht und zum Autorenforum einlädt, und 2006 seinen PAULE auszeichnete (der bis heute schändlicher Weise nicht gespielt wurde! Aufgemerkt liebe anwesenden Dramaturgen/Regisseure!). Ohne die finanziellen Zuwendungen aus dem Frankfurter Zentrum, die dieses segensreiche Projekt NAH DRAN! ins Leben rief, für das auch Brandau nominiert wurde, ohne das TAtSCH Programm (Theaterautoren treffen Schule) und die Einladungen zum Autorenforum, hätte der Autor - das hat er mir persönlich versichert - nicht mehr die Kraft, den Mut und vor allem nicht die finanziellen Ressourcen gehabt, weiter zu schreiben.
Verbündete hat Brandau auch in den Regisseuren Rob Vriens vom Frankfurter Theaterhaus (der seinen DREIER STEHT KOPF kongenial uraufführte), in Tobias Winfried vom Theater in Aalen, die HIMMEL UND HÄNDE in Auftrag gaben, ihm großes Vertrauen entgegen brachten und der daraus eine wunderbare Inszenierung zauberte, und in den Mülheimer Jurys von 2015 und 2016. Auch das Ministerium für Familie, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen sei an dieser Stelle genannt, das letztjährig zusätzlich zum Autorenpreis noch ein großzügig dotiertes Stipendium für ein Auftragswerk an Brandau vergeben hat. So ist der Autor Brandau in den Fokus gerückt. Er hat genug Geld erhalten, um schreiben und leben zu können. Er sitzt jetzt am Tisch der Großen für die Kleinen! Aufgepasst Carsten, benimm dich anständig! Auch Dramaturgen wetzen öfter mal die Messer!
Auch wenn es über ein Jahr dauerte mit dem Nachspielen vom letztjährigen Gewinnerstück DREIER STEHT KOPF: jetzt wird es das Schnawwl in Mannheim nachspielen und dass diese renommierte Bühne des Kinder und Jugendtheaters dieses Werk ins Repertoire aufnimmt, ist ein erneuter Ritterschlag für Brandau. In Dortmund und Halle wird es für nächste Spielzeit angekündigt, in Polen gerade erstaufgeführt, in Mailand gab es eine Szenische Lesung und aus México-City erreicht uns die frohe Botschaft vom Goethe Institut für eine Anfrage einer Übersetzung ins Spanische.
Mülheim gibt Impulse und unser Preisträger wird regional wie überregional deutlich wahrgenommen. Brandau hat als Autor seiner Kinderstücke gerade einen Lauf – Ansporn vielleicht für die deutschen Kicker in Frankreich! Übrigens ist Brandau ein glühender St Pauli Fan und wenn uns der Stoff ausgeht, über seine Stücke zu reden, quatschen wir über Fußball, am besten aber nicht über den von ihm nicht sehr geschätzten FC Bayern....
Ein Theaterautor ohne all diese Verbündeten ist wie ein Rufer in der Wüste. Wir im Verlag können davon ein Lied singen, Carsten kann in dieses Lied mit einstimmen. Es war und ist ein langer Weg: Long way out of hell!
Er schreibt außerhalb des Mainstreams, auch im Kindertheater, nicht das allzu Gefällige, Gängige zieht ihn an, eher die Verklausulierung, das Thema, um was es „geht“, versteckt sich hinter Wort-Spiel-Kaskaden; ein Scheidungskind taucht gar nicht auf, dafür sprechen die Stehlampe und der Klappstuhl, A und O sind lebende Figuren-Buchstaben und die Zahlen Eins und Zwei und Drei clowneske Sprachakrobaten. Jetzt landet er mit seinem jüngsten Kindertheater-Coup in Berlin mit einer Auszeichnung des renommierten GRIPS Kindertheaterpreises mit SAGT DER WALFISCH ZUM THUNFISCH bei der Arche Noah. Es wird in Zukunft weiter WILD zugehen, mit sprechenden Vögeln und vergrabenen Backenzähnen und einem etwas überforderten Lehrer. Aber wir wollen von seinen Plänen nicht allzu viel verraten …. Nächstes Jahr in Mülheim dann mehr davon!
Die Presse, namentlich die nicht ganz unwesentliche SZ, vergleicht den Autor des letztjährigen Mülheimer-Gewinnerstück mit einem Beckett für Kinder! („Hätte Samuel Beckett für Menschen ab vier geschrieben, man könnte es sich etwa so vorstellen!“). Das sind hohe Weihen.
Brandau ist ein „Steher“, ein Kämpfer, der SchreibSCHAUFELN UM DEN HALS trägt, er steigt wie ein Boxer immer wieder in den Theaterring. Ein Schwergewicht allemal. Jedenfalls hat Brandau in den letzten 14 Jahren, seit wir uns kennen nichts umgehauen. Auch die Niederlagen nicht, nicht die Missachtungen, Übergehungen, falschen Versprechungen. Das ganze Höllen-Spektakel des Theateralltags eben. Vielleicht haben sie den Autor auch gestärkt. Wir haben an ihm jedenfalls festgehalten, manchmal zähneknirschend, und er an uns. Dafür danken wir ihm. Auch wenn wir uns bislang keine eine goldene Nase mit seinen Stücken verdient haben. Aber goldene Nasen sind auch nicht alles, Herr Verleger! (halt: doch, das Geld spielt sowohl für den Autor wie für uns eine große Rolle und die Gespräche mit Verwaltungsdirektoren oder Intendanten sind oft infernalisch unerfreulich - gehört aber zum Geschäft).
Dass ein Stück im Studio knapp 10 gespielt wird und dann noch nicht einmal 1000 Euro eingespielt werden, ist leider auch eine nüchterne und traurige Wahrheit im Autoren / Verlagsgeschäft, die niemand im Theater so gerne hören möchte. Sie denken allzu oft, dass die Autoren oder schlimmer noch, ihre Verlage, Tantiemen-gefräßig sind. Unser Alltag sieht anders aus. Tägliche Gespräche, tausende von Emails und Überzeugungsarbeit. Brandaus Stücke sind nicht unbedingt Quotenbringer. Die will er aber auch gar nicht schreiben, dieser sture Autorenhund! Da reden wir lieber über Fußball…
Das ist keine ANMASSUNG mein Lieber! Aber dass in Stuttgart am Staatstheater dieses Stück gespielt wird, verblüffte einen Dramaturgen der Kinder/Jugendtheaterabteilung eines Theaters dermaßen, dass er sich zu der Aussage hinreißen ließ: „Ach was, Du schreibst auch Stücke für Erwachsene?“ Das war ein Jubeltag für Brandau, der bereits 14 Erwachsenen Stücke geschrieben hat (und ebenso viele sind in der Schublade, oder in seinem Kopf, nehme ich mal an). Aber das sagt auch etwas über unser Theatersystem aus: Sparten und Schablonen Denken allerorten: Brandau hat ein bisschen Angst, jetzt als Kindertheaterautor „abgestempelt“ zu werden. Wir nehmen ihm die Sorge und er schreibt weiter äußerst sperrige, oft schwer lesbare Stücke (Herausforderungen eben, würde Brandau sagen), die sich IN MEINEN ARMEN EIN STÜCK SEELE verflüchtigen, in einem STÜCK VOM HIMMEL oder in ERLÖSUNGEN. Und natürlich weiter Kindertheaterstücke! Es gibt viel zu lesen und noch mehr zu entdecken, liebe Dramaturgen…!
Brandau, der seit 2001 fast jedes Jahr ein neues Manuskript vorlegt, (ab und zu ein Hörspiel verfasst), ist ein Durch-Und-Durch-Dramatiker, nie lauwarm, ein Sprachkünstler, sprachgewitzt und komisch, ein Wortverdreher, Gedanken-UmundUm-Dreher, und manchmal so verästelt, dass wir uns auf die Bäume setzen müssen, um ihn zu verstehen. Einer , der fest ans Theater glaubt, wie bei allen Gläubigen mit tiefen Zweifeln, aber mit einem ebenso tief sitzenden Vertrauen an die Kraft der Worte und der Bilder. Sein Glaube ist unerschütterlich. Tiefer jedenfalls als die Skepsis. Ein vom Schreiben Besessener, deshalb vielleicht auch ein Dostojewski Verehrer, aber auch ein Sprachkünstler, der Jandl, H.C Artmann kennt und schätzt, vor allem Daniil Charms, Sarah Kirsch, unbewusst angelehnt vielleicht an Konrad Beyer. Keine Säulenheiligen, aber literarisch ihn umgebende Geister!
Ich muss Schluss machen, ich weiss, obwohl ich noch so einiges über HIMMEL UND HÄNDE sagen wollte. Jetzt wird die Zeit knapp (dass und wie die Zeit knapp wird, würde Brandau gefallen…)
Dieser Titel ist schon eine Brandausche Zumutung. Der Gegensatz von Himmel ist doch die Hölle. Schon sind wir mitten im Kosmos des Autors! Ein TraumSpiel, über die Fantasie und Vorstellungskraft im Theater!
Was hörten wir nicht alles: das Thema zu kompliziert, keine Geschichte mit nachvollziehbar entwickelten Figuren, nicht Kindertheater gerecht, eine allzu verkünstelte Sprache. Ein zu philosophisch hinterfragender Text,- Brandau stellt in der Tat Fragen wie Kinder: wie ergeht es den kleinen Menschen vor dem Eintritt in die Schule? Was ängstigt sie? Wer sind sie überhaupt? Wer ist der andere? So wie ich? Was ist ein Stern? Was ist die Welt um uns herum? Seine Regieanweisungen sind Kunstsprachwerke. Und er selbst als Autor im Geschehen mitten drin!
O schreit und nervt: vom Himmel gefallen
Ein Stück ohne oben und unten: immer dreht sich die Erde und der Himmel und die Sonne! Ohne echten Anfang und ein Ende. Jetzt ist aber Schluss!
Der Autor Brandau: ein Stern im Theaterhimmel, der runterfällt und nervt und schreit und elegant mit Worten jongliert, sie verdichtet und in Endlos-Schleifen zieht….
Den Himmel gibt es
Und einen Stern
Und einen Brandau
Danke Carsten – bitte Brandau!
Weiter so – oder ganz anders!
In diesem Sinne: Rochts und Lonks!
Du mit Deinen Schreibschaufeln!
Vielen Dank für Ihre Geduld!
Vorgetragen am 12. Juni 2016 von Guido Huller, Verlagsleiter Drei Masken Verlag.