Autoren im Rampenlicht


Kritik

Für Kunst- und Kulturfestivals ist die Zeit zwischen vergangener und kommender Saison in aller Regel eine Zeit der Abkehr von der Öffentlichkeit, des Zurückziehens nach innen. Auf das Abbrennen eines furiosen Programmfeuerwerks folgt die nüchterne Nachbereitung des gerade Geschehenen. Auch die Vorbereitung des – wenn auch noch fern erscheinenden – nächsten Mals lässt nicht lange auf sich warten. Der ein oder andere Beteiligte sucht vielleicht auch ein wenig Erholung von der intensiven und temporeichen Festivalzeit. Nach außen hin wird es still.

Das Theaterfestival „Stücke“ hat sich dieses Jahr gegen ein solches stilles Dazwischen entschieden und sich bereits im Februar mit den „ZwischenStücken“ zurückgemeldet. Sechs Programmpunkte, sowohl Autorenlesungen als auch Gastspiele, säumten bis April den Weg zu den „Stücken 2016“, die nun zum 41. Mal eröffnet werden. Für mich persönlich war es der erste Kontakt mit dem „Stücke“-Festival. Drei der sechs Veranstaltungen habe ich besucht. Ein Rückblick:

Der Auftakt am 16. Februar führt mich wider Erwarten zunächst nicht ins Theater, sondern in die im Medienhaus angesiedelten Räumlichkeiten der Mülheimer Stadtbibliothek: Wolfram Lotz, Gegenwartsdramatiker und vergangenes Jahr bei den „Stücken“ mit seinem Text „Die lächerliche Finsternis“ in einer Inszenierung des Wiener Burgtheaters vertreten, liest aus seinem Werk. Statt Dramatik wird Prosa den Abend dominieren. In beschaulicher Runde trägt Lotz seine Kurz- und Kürzestgeschichten vor, von denen einige für nachdenkliches Schmunzeln, andere durchaus für laute Lacher sorgen. Wieder andere sind so kurz, dass niemand bemerkt, dass die Geschichte bereits zu Ende ist. Insgesamt gelingt es Lotz mit seinen in knapper, pointierter Sprache gehaltenen Erzählungen Szenarien größter Absurdität entstehen zu lassen: Europäer der Kolonialzeit begeben sich auf sinnlose Expeditionen, um in Australien nach einem unbekannten Tier zu suchen, das eigentlich niemand gesehen hat, die Erörterungen eines Ehepaars zur Auswahl des abendlichen Fernsehprogramms („Gleich kommt Günther Jauch.“) werden der Vergänglichkeit der Menschheit im übergeordneten Fluss der Zeit gegenübergestellt und ein Mann entdeckt auf seinem Perineum eine Landschaft mit vollentwickelter Zivilisation. Der Einstieg in die „ZwischenStücke“ gestaltet sich also durchaus interessant und macht neugierig auf das, was noch kommen soll.

Wortflut brandet in Gehörgänge

Auch auf meinem nächsten Zwischenstopp finde ich mich in der Mülheimer Stadtbibliothek wieder, diesmal auf der Lesung von Ewald Palmetshofer, der bereits drei Mal zu den „Stücken“ eingeladen wurde und vergangenes Jahr für das ebenfalls vom Wiener Burgtheater inszenierte Drama „die unverheiratete“ den Dramatikerpreis erhalten hat. Diesmal gibt es vor allem dramatische Texte. Palmetshofer liest Auszüge u.a. aus „Edward II. Die Liebe bin ich“ sowie dem erwähnten „die unverheiratete“. Das von Auslassungen und Wiederholungen geprägte, hoch rhythmische Sprachspiel sowie die Intensität seines Vortrages halten die Zuhörer gebannt in ihren Sitzen, während die Wortflut in die Gehörgänge brandet.

Nach diesen beiden Abenden steht für mich fest, dass die Lesungen neben den im Programm auch vorgesehenen Gastspielen den besonderen Reiz der „ZwischenStücke“ ausmachen. Anstelle von Schauspielern stehen hier die Dramenautoren selbst im Rampenlicht, bekommen die Möglichkeit, ihre Werke selbst vorzutragen und zu interpretieren. Der Autor im Mittelpunkt – ganz im Sinne der Grundidee des „Stücke“-Festivals.

Wahnsinniger Höllentrip

Mein Besuch der letzten Station der „ZwischenStücke“ führt mich dann aber doch noch ins Theater, genauer ins Mülheimer Theater an der Ruhr. Ein Gastspiel des Theaterhauses Jena. Gezeigt wird Wolfram Lotz' „Die lächerliche Finsternis“, das in der Kritiker-Umfrage des Magazins Theater heute zum besten Stück des Jahres 2015 gewählt wurde. Über das Stück, diesem von Joseph Conrads Novelle „Heart of Darkness“ und Coppolas „Apocalypse Now“ inspirierten wahnsinnigen Höllentrip, dem Lotz seine charakteristische absurd-komische Note verpasst hat, wurde bereits viel gesprochen und geschrieben. Mich begeistern besonders die Kreativität und Energie der Inszenierung. Nicht nur der Zuschauersaal, sondern – per Kamera auf eine Leinwand übertragen – auch der gesamte Theaterkomplex werden bespielt. In einer imaginiert-exotischen Umgebung stoßen Figuren und Zuschauer auf eine ganze Palette wohlbekannter und doch verfremdet erscheinender Relikte der eigenen hedonistischen Konsumkultur, vom weißen Plastikgartenmöbel hin zu Helene Fischer-Schlagern. Diese werden dann auch in bester ZDF-Fernsehgarten-Manier durchexerziert. Ein fantastisch absurder Theaterabend.

Die ersten „ZwischenStücke“ haben überzeugt. Und wenngleich die zumindest bei den Lesungen vorherrschende geringe Zuschauerfrequentierung ein gewisses Gefühl von Intimität erzeugte und somit durchaus angenehm war, ist es den zukünftigen Programmen doch zu wünschen, auf ein regeres Interesse zu stoßen. Denn die Öffnung des Festivals nach außen auch abseits der Festivalhochzeit ist eine tolle Idee.