18. Mai 2022 •
Milan Gather erzählt im Interview, was gutes Kindertheater ausmacht, wie er von seiner (ersten) Nominierung für die Mülheimer Theatertage erfahren hat und welche Fragen er seinen verstorbenen Omas gerne gestellt hätte. Simone Saftig trifft den 29-jährigen Autor von „Oma Monika – was war?“ auf einer schattigen Parkbank am Theater an der Ruhr. Was fehlt, ist einzig der Stachelbeerkuchen.
Fangen wir vorne an: Beschreibe doch mal in drei Worten, wie du auf die Einladung deines Stücks zu den Mülheimer Theatertagen reagiert hast.
Ungläubig, überrascht und glücklich.
Warum ungläubig?
Während der Pressekonferenz war ich bei der Theatervorstellung eines guten Freundes. Ich habe mir selbst gesagt: Das wird nichts mit der Nominierung! Damit ich hinterher nicht enttäuscht bin. Nach der Aufführung musste ich super dringend aufs Klo, bin auf die Toilette gerannt und habe nach dem Händewaschen mein Handy angemacht. Das war dann voller Nachrichten und Instaverlinkungen. Es war krass für mich und ich musste das erst einmal begreifen.
Du hast auch das Jugendstück „Astronauten“ geschrieben, bisher aber nichts für Erwachsene. Warum schreibst du für Kinder und Jugendliche?
Weil ich mich in den letzten vier Jahren als Schauspieler am Kinder- und Jugendtheater mit dem Publikum viel beschäftigt habe. Dieses Publikum liegt mir sehr am Herzen und es macht mir Spaß zu wissen, für wen ich schreibe. Ich habe ganz viele Ideen und es ist schön, komplexe Themen für ein junges Publikum zu verdichten – nicht vereinfacht, aber verknappt und konzentrierter zu erzählen. Das finde ich als Autor eine gute Herausforderung.
Wie sollte ein Stück sein, damit Kinder Gefallen an Theater finden?
Man sollte nicht denken: Das sind Kinder, deswegen müssen wir etwas für Kinder machen, das uns gar nicht so interessiert. Das merkt jedes Publikum direkt. Das künstlerische Team muss ehrliches und persönliches Interesse an dem Thema haben, damit es andere begeistern kann. Verfehlt man das, erreicht man keine Augenhöhe. Und man kann einem jungen Publikum etwas zutrauen. Deswegen ist der Austausch so wichtig, um zu schauen: Bis wohin können wir auch mal eine Länge erzählen? Ist das Thema für das junge Publikum überhaupt von Interesse? Wenn das alles stimmt, entscheiden ganz viele Faktoren. Ein Team, das sich ergänzt und verschiedene Perspektiven einbringt zum Beispiel. Das letzte Quäntchen ist dann immer: Zaubert’s? Fängt es an, lebendig zu werden?
Wie überprüft man dann, ob es auch bei den Kindern ankommt?
Das ist immer die große Frage: Als Erwachsener für ein junges Publikum zu schreiben ist ja etwas paradox. Es macht aber gerade deswegen Spaß. Wir haben den Text von „Oma Monika“ immer wieder mit Schulklassen und Zielpublika überprüft. Ein Jahr vor Probenstart haben wir eine Try-Out-Lesung gemacht. Ich als Balthasar und Brigitte Dethier als Oma Monika. Wir haben dann das Publikum gefragt: Wollt ihr, dass dieser Text auf die Bühne kommt und wenn ja, was würdet ihr euch noch wünschen? Das war ein tolles Geschenk für mich als Autor. Erst einmal, weil die Antwort war: Ja, wir wollen das Stück sehen. Aber auch, weil tolles Feedback und Ideen kamen. Im Schreibprozess ist es schwer, wieder rauszuzoomen und einen frischen Blick auf den eigenen Text zu richten. Während der Proben hatten wir immer wieder Schulklassen da, die uns Feedback gegeben haben. Das ist etwas, was junges Theater machen muss, zu fragen: Was denkt ihr darüber? Was fehlt euch hier? Betrifft euch das?
Welches Feedback kam denn konkret von den Kindern?
Dass sie durch Balthasars Augen auf Oma Monika schauen. Das war mir wichtig, dass man als Kind auf diese Oma blickt mit ihren Eigenarten und ihrer Vergesslichkeit. Für mich war die große Frage: Gehen sie diesen Schritt auch mit, wenn Monika in andere Rollen schlüpft, wenn sie auf einmal behauptet: Gleich kommt Mama nach Hause und Papa, wir müssen jetzt den Kuchen backen. Oder denken sie: Okay, jetzt ist die Oma durchgedreht, was soll das?
Aber wir waren überrascht, wie selbstverständlich sie das annehmen. Dass Kinder mit Demenz viel spielerischer, viel offener und weniger verurteilend umgehen als Erwachsene. Und die Kinder haben uns ganz klar gesagt: Sie ist halt so. Das war eine kollektive Reaktion, die mich berührt hat, weil ich das nicht so pur erwartet hätte.
Im Publikumsgespräch hast du erzählt, dass du eigene Erfahrungen mit deinen Omas in das Stück getragen hast. Wie war deine Beziehung zu ihnen?
Ich habe von meinen beiden Omas bedingungslose Liebe erfahren, an die ich mich oft und sehr gerne erinnere. Sie sind mir mit so großer Offenheit begegnet: Alles war okay, solange es für mich okay war. Jetzt, da sie nicht mehr leben, merke ich schmerzhaft, dass ich gar nicht so viel über ihr Leben erfahren habe. Mein Opa hat viel aus seinem Leben erzählt, meine Omas nicht. Ich habe sie aber auch nie gefragt und das bereue ich im Nachhinein total. Diese Generation meiner Omas, die Frauen der Nachkriegsgeneration, haben sehr wenig Beachtung gefunden – auch in der Geschichtserzählung Deutschlands der letzten 80 Jahre, obwohl sie super viel ausgehalten und für die Gesellschaft geleistet haben. Darauf wollte ich ein Kind blicken lassen und den Jungen auf dem Weg begleiten, wenn er merkt: Da gibt es ganz viel von meiner Oma, über das ich mir noch nie Gedanken gemacht habe.
Welche Frage würdest du deinen Omas denn jetzt stellen, wenn du könntest?
Es wäre richtig hart, sich für eine Frage zu entscheiden. Wahrscheinlich: Wie war dein Leben? Damit sie mir alles erzählen müssen. Am besten während wir spazieren gehen und Kuchen essen.
Als du von der Nominierung erfahren hast, warst du im Theater. Am Freitagvormittag wird der Mülheimer KinderStücke-Preis verliehen. Bist du dann wieder im Theater?
Freitagvormittag und Freitagabend spiele ich Vorführungen und dazwischen gehe ich nach Hause, mache meinen Laptop auf, trinke einen Tee und versuche, mich zu entspannen.
Du schaust also die Jurydebatte?
Ja, das interessiert mich natürlich. Ich habe letztes Jahr mal reingeschaut und fand es spannend, wie über die Stücke gesprochen wird.