Erblotterie im Turbogang
In Deutschland werden nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft jedes Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererbt. Das muss man sich mal vorstellen! Sie gehen an diejenigen, die Glück hatten in der „Eierstock-Lotterie“, wie Nora Abdel-Maksoud die ungleiche Verteilung von Privatvermögen qua Vererbung in ihrer Komödie „Jeeps“ nennt. Wer Pech hat, kriegt als Kind von seinen Eltern im Freibad allenfalls mal ein „Ed von Schleck“ und muss sich später seinen Traum vom SUV hart vom Mund absparen wie der verkniffene Cordsakko-Träger Gabor vom Jobcenter. Der streng regelkonforme Sachbearbeiter zieht der Langzeit- Hartz-IV-Empfängerin Maude, einer verarmten adeligen Groschenroman- autorin mit Wortfindungsstörung, sogar noch den Flaschenpfanderlös von der eh schon knappen Grundsicherung ab. Flaschensammeln gilt als „selbständige Tätigkeit“. Willkommen in der deutschen Armutsverwaltung!
„Jeeps“, Nora Abdel- Maksouds ebenso schmissige wie knallhartbissige Erbschaftskomödie, spielt in einem Jobcenter, vulgo: Arbeitsamt. Hier füllen aber nicht nur die Erwerbslosen, sondern neuerdings auch die Erbschaftslosen den Wartesaal und „gentrifizieren“ mit ihren Geländewagen und Foodtrucks bereits den Parkplatz. Denn die Ausgangsfrage für das Stück lautet: Was wäre, wenn das Vermögen reicher Menschen nicht automatisch an die Nachkommen vererbt, sondern aufgrund einer Gesetzesreform per Losverfahren verteilt würde? Und wenn für dieses „Erb-Wichteln“ das Jobcenter zuständig wäre? Was die Münchner Autorin und Regisseurin aus dieser Grundkonstellation macht, ist eine rasante, intelligente, mit traurigen Fakten jonglierende Bürokratie- und Klassismussatire.
Vier Figuren liefern sich darin einen turboschnellen, pointensprühenden Schlag(licht)abtausch. Auf der einen Seite sind da die beiden Verwaltungsfacharbeiter Armin (Stefan Merki) und Gabor (Vincent Redetzki) als unterschiedlich verkorkste Vertreter deutschen Amtsschimmels. Auf der anderen Seite die ihrer erhofften Erbschaft jäh entzogene Jungunternehmerin und „Yuppielarve“ Silke (Gro Swantje Kohlhof), die sich im Heer der Antragsteller*innen mit der einschlägigen Profi-Verarmten und Amtskennerin Maude (Eva Bay) zu einem erpresserischen Explosiv-Duo zusammentut. Da steckt Sprengstoff drin. Es fetzt, wie der Text zwischen Rückblenden, Dialogen, Erzähl- und Erklärpassagen hin und her springt und dabei Fragen zur gesellschaftlichen Verteilungsdebatte wie zur eingeübten sozialen Distinktion abfeuert – und wie hochnotkomisch souverän die Schauspieler*innen das in der Regie der Autorin mit einfachsten szenischen Mitteln auf der Vorderbühne umsetzen.
Wer gerade spricht, steht im Lichtkegel, bis jemand anderes mit dem Finger schnippt, und – wusch – geht das Licht hier aus und dort an und – schnipp – reihum und hin und her. Minimaler Aufwand mit maximaler Wirkung. Das alles in beigebrauner Behörden-Tristesse. Der Mülheim- Debütantin Nora Abdel-Maksoud ist mit „Jeeps“ eine hochtourig-robuste, das Tempolimit deutscher Stücke weit überschreitende Komödie gelungen. Mit Allradantrieb und erhöhtem Esprit- Verbrauch.
Christine Dössel