„Falsche Mädchen gibt es nicht“
Der fabelhafte Die – eine rätselhafte Jahrmarktsfigur, nicht Mann, nicht Frau – sammelt kuriose Geschichten. Er erzählt vom stärksten Mann der Welt, auch bekannt als F-Punkt Meyer- Schmitt. Der kann nicht nur liegend Stahl verbiegen, sondern begeistert sich auch – was niemand wissen darf – für Pariser Mode und blonde Perücken. Und er verfüttert gerne altes Brot, am Teich, wo er auf die leicht reizbare, aber selbstbewusste Ente Klaus trifft. Eigentlich Schwan Klaus. Doch das war einmal, jetzt ist er Ente durch und durch.
Nach anfänglichen Differenzen freunden sich beide an und beschließen ein schrilles Spektakel auf die Beine zu stellen, inklusive Gospelchor. Wäre da nur nicht der Verein fürs Richtigsein. Der verdächtigt den stärksten Mann der Welt schon länger, sich nicht an Tradition und Norm zu halten, und drohte ihm sogar bereits mit dem Karriereende. Das empört wiederum Ayla und Ben, zwei Vorzeigekinder in rosa und blau, die der Geschichte anfangs eher gelangweilt folgen. Nun aber beginnen sie, ihr stereotypes Rollenverhalten zu hinterfragen.
Mit großer Leichtigkeit und in Reimen voller Witz erzählt Sergej Gößner vom Vieles- und Anderssein. Was bin ich? Wer darf ich sein? Und was will ich wirklich vom Leben? Um das herauszufinden, bewegt man sich schnell auf einem schmalen Grat zwischen Individualität und Konformität, zwischen Abgrenzung und Anpassung. Je weiter man sich dabei von den ausgetretenen Pfaden gesellschaftlicher Normen auf Entdeckungsreise begibt, desto stärker stößt man an Grenzen und auf Vorbehalte. Schnell gerät man in Verdacht nicht „normal“ zu sein. Darum braucht es sehr viel Mut, sich trotz aller Widerstände immer wieder auszuprobieren, um so zu einem Leben zu finden, das zu den eigenen Bedürfnissen und Wünschen passt. Verortet in der traumhaften Welt des Zirkus öffnet das Stück einen weiten gestalterischen Raum, den die Regie originell zu nutzen weiß. Und indem die Schauspieler*innen alle Figuren immer wieder im Wechsel spielen, entstehen nicht nur virtuos lustvolle Verwandlungen, sondern es zeigt sich darin auch der Reichtum von Diversität.
Werner Mink