Die Obstschale


Kolumne

Antwerpen um 1600. Haus der Familie Rubens.

Sie (ruft): Peter Paul, warst du einkaufen?
Er (gedämpft, aus seinem Atelier): Ja, war ich.
Sie: Und wo sind die Äpfel? Und der Rhabarber? Ich wollte doch heute Kuchen backen!
Er: Hab ich gekauft.
Sie: Und wo ist das Obst? Ich sehe kein-
Er: Halt! Stop! Es ist Obst im Haus! (Pause) Nur eben nicht in der Küche … Bringst du bitte die Silberschale ins Atelier?
Sie (zu sich selbst): Und Mutter sagt noch: Kind, überlege es dir gut, dieser Rubens ist Künstler!
(Isabella Rubens betritt mit einer großen Schale das Atelier ihres Mannes.)
Sie: Was willst du denn hier mit dem Obst? Im Vorratskeller ist es doch viel kühler.
Er: Ah, gut, dass du kommst. Stell die Schale bitte dorthin auf den Tisch und tu ein paar Äpfel hinein. Lass den Rest und die Weintrauben einfach liegen. Das Licht ist gerade so gut.
Sie: Du malst OBST?!
Er: Ja, ist mir gerade eingefallen. Klasse Idee, meinst du nicht auch?
Sie: Aber du hast ja Äpfel geschält! Und die Orange aufgeschnitten! Das hält sich keinen Tag lang!
Er: Aber so wirkt das realistischer. Als ob hier jemand am Tisch gesessen und Früchte gegessen hat. Dann ist er plötzlich aufgestanden. Und so präsentiert sich die Szene komplett bewegungslos, ganz still, quasi leblos.
Sie: Und das soll jemand kaufen? Einen gemalten Obstteller?
Er (sie ignorierend): Ich nenne es: Stillleben. Das ist neu. Das ist verrückt. Darauf werden die Leute total abfahren. Ein vergänglicher Augenblick, eingefangen für die Ewigkeit.
Sie (spöttisch): Dann fang mal besser an zu malen. Dafür brauchst du schließlich immer eine Ewigkeit! Bevor du fertig bist, sind die Äpfel braun und die Avocados matschig. Guck mal, da kommt schon die erste Fliege angesurrt.
Er: Ach was, die mal ich einfach mit! Halt still, du Insekt! Du wirst jetzt Kunst!
Sie: Sag Bescheid, wenn du fertig bist. Dann mache ich Obstsalat.