Angstraum BRD
Die furchtbar nette Mittelstandsfamilie, von der man nicht unbedingt zum Kaffeekränzchen eigeladen werden möchte, lebt in einem rundum mit Holzfurnier gepflasterten Wohnzimmer. Fenster gibt es schon, sie sind aber so weit oben angebracht, dass man sie nicht erreichen kann. Eine Tür ist nicht vorhanden, dafür aber eine Klappe im Boden, durch die Mama und Papa wortlos verschwinden und genauso unvermittelt die Köpfe wieder hoch strecken. Man weiß nicht so recht: Gehören die nun einer Sekte an, oder haben sie unten im Keller eine niedliche Werkstatt mit einem mittelständischen Arsenal an Folterwerkzeugen eingerichtet? Mit ihren starren Gesichtern und ihrem eigeschränkten Repertoire an Gesten könnten sie auch IT-Maschinen sein. Als liebevolle Eltern gehen sie auf keinen Fall durch. Emulie ist übers Wochenende zu Gast in dieser Familie und würde gerne nur mit dem gleichaltrigen Lonnart spielen. In der Gastfamilie ist jedoch alles so unheimlich, dass das Mädchen ganz verstört wirkt und unbedingt will, dass ihre Mama sie da wieder raus holt. Die Wochenendeltern lassen das Mädchen aber nicht gehen und meinen nur ungerührt, im Moment würde es keine Tür geben, durch die man die gruselige Heimeligkeit hinter sich lassen könnte. Sohn Lonnart legt derweil ein gequältes Grinsen auf, und es stellt sich die Frage: Geht der noch als normaler Junge durch, oder ist das bereits ein bestens zugerichtetes Menschenexemplar in der Fortpflanzungskette der Gattung Homo Pegida? Bonn Park hat es auf die vielbeschworene deutsche Mitte abgesehen und wirft die Frage auf, was dort eigentlich los ist. Ist sie tatsächlich ein Hort des Gemeinwesens, in dem Konsens, Stabilität und Produktivität produziert werden? Oder versteckt sich hinter der kaltherzigen Angststarre der Mittelstandsfamilie, die er uns vorführt, ein beträchtliches Hasspotenzial, das sich jederzeit in Gewaltausbrüchen entladen könnte. Aber nicht nur das. Die Monsterfamilie will dieses fremde Mädchen, das wie ein Virus in ihr QuarantäneWohnzimmer eingedrungen ist, gar nicht loswerden. Im Gegenteil. Die Familie bietet sich als Wirtskörper an und „integriert“ Emulie. Bonn Park ist sein eigener Regisseur und inszeniert einen Angstraum der Gefühlskälte. Ja, es stimmt. Familien können Gärten sein, in denen Kinder gedeihen. Dummerweise blühen in diesen Gärten aber auch Stumpfsinn und Gewalt, Rassismus und Fremdenhass. Die Frage, was Samen und was Frucht ist, erübrigt sich. Es sieht so aus, als würden in derart sterilen Holzwohnzimmern nicht nur gefühllose Kinder gezüchtet. So eine Kleinfamilie der Mitte kann auch ein Echoraum für den anschwellenden Bocksgesang vom rechten Rand sein. Und Emulie? Sie wird demnächst wohl ebenfalls kaltlächelnd durch eine eisige Welt geistern, in der niemand mehr weiß, wo die eigene Bösartigkeit endet und die der anderen beginnt.
Jürgen Berger