Ersatzleute für das Unersetzliche
In Japan ist es schon seit längerem ein florierendes Geschäftsmodell, Werner Herzog hat darüber sogar einen Film gedreht, und seit Neuestem häufen sich die Berichte über die Möglichkeit, sich Menschen auf Zeit zu mieten. Sei es als Vaterersatz oder als Freund, Chef oder auch Mietgast bei einer Trauerfeier. Das daraus entstehende Spiel mit der Wirklichkeit bietet neben der zugrunde liegenden Tragik auch reichlich Komödienstoff. Und beides nutzt Holger Schober für seine Geschichte von Lisa. Lisa fühlt sich schuldig am Tod ihrer Mutter. Und sie glaubt, dass ihr Vater unter ihrer Anwesenheit leidet, weil sie ihn ständig an den tragischen Verlust erinnert. Also fasst sie den Entschluss, sich für ein Internat zu bewerben, allerdings ohne den Vater darüber zu informieren. Da sie befürchtet, aufgrund der vorhandenen Familienkonstellation – alleinerziehender Vater plus dementer Großvater – dort nicht aufgenommen zu werden, und weil sie auch noch einmal spüren will, wie es ist, eine ganz normale Familie zu sein, engagiert sie eine Schauspielerin und einen Schauspieler. Sie sollen während des Hausbesuchs der Rektorin ihre Eltern spielen. So entspinnt sich eine furiose Komödie, in der Lisa das windschiefe Konstrukt aus überforderten Fake-Eltern und Verdacht schöpfendem Vater zusammenhalten muss. Daneben drohen vor allem die abgedrehten Auftritte des Großvaters ihr Vorhaben scheitern zu lassen.
Ein Verdienst der Inszenierung ist es, dass sie der Komödie auch immer wieder Pausen gönnt, indem sie den Rhythmus dort wechselt, wo es um das zentrale Thema der Familie geht: in den Momenten, in denen sich Tochter, Vater und Großvater in einem sehr respekt- und liebevollen Miteinander begegnen. In Zeiten, in denen Kinder immer häufiger die Auflösung von Familie erfahren und die Beziehungen zwischen Menschen zunehmend verwässern, zeigt das Stück Familie als einen Ort der Geborgenheit, Liebe, Wärme und Vertrautheit. Es setzt ein wichtiges Statement gegen eine Entwicklung, in der real gelebte Beziehungen immer mehr ein Teil der Dienstleistungsgesellschaft werden.
Werner Mink