Stücke 2010
Die große Krise, sie hat zwei sehr unterschiedliche Gesichter. Sieht man sich um in den Medien, den Einkaufszentren, auf großen Events, dann scheint sie fern, ein Phantom, bestenfalls abstrakt. Hört man nach Griechenland oder in die Spardebatten im Ruhrgebiet, auf Menschen, die ihr Erspartes verloren haben oder resignierte Langzeitarbeitslose, dann trägt sie das Gesicht von Wut, Angst und Ohnmacht. Und über allem schwebt der Zynismus von Bankern, die neue Milliarden-Gewinne verkünden, und FDP-Politikern, die Hartz-IV als römische Dekadenz bezeichnen.
Dass der Skandal der Ursachen dabei so schnell aus den Debatten verschwunden ist, muss jemand wie Elfriede Jelinek, die seit 40 Jahren dem Vertuschen auf der Spur ist, in Rage bringen. In ihrem Work-in-progress-Stück Die Kontrakte des Kaufmanns legt sie Klein-anlegern, Börsen-Daddlern und Bürgermeistern lange Monologe in den Mund, welche Naivität, Skrupellosigkeit, Zynismus, Systemgehorsam und andere Wahrheiten der Geldbehandlung beschreiben. In ihrem mäandernden Stil aus Klugheit und Kalauern, Analyse und Attacke entsteht so ein stetig von ihr weiter geschriebenes Tagebuch der Systementlarvung, das bereits an vielen Theatern als Inszenierungs-Fundus benutzt wurde. Die unterschiedlichen Formen, die aus Jelineks Material erwachsen sind, haben dabei stets eins gemein: Man kann sie auch in zehn Jahren noch spielen, denn die Krise war kein Pech, sie ist Teil des Programms.
Till Briegleb
Mit: Therese Dürrenberger, Ralf Harster, Franziska Hartmann, Daniel Lommatzsch, Sebastian Rudolph, Maria Schrader, Patrycia Ziolkowska
Sowie: Benjamin von Blomberg, Thomas Kürstner, Claudia Lehmann, Nicolas Stemann, Sebastian Vogel
Regie: Nicolas Stemann
Bühne: Katrin Nottrodt
Kostüme: Marysol del Castillo
Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel
Video: Claudia Lehmann
Dramaturgie: Benjamin von Blomberg