Nachtblind

Szene aus Nachtblind von Darja Stocker
Thalia Theater Hamburg


Stücke 07

 

Manchmal ist sie in sich gekehrt. Dann wieder spricht sie so unverblümt mit ihrer Mutter über deren Probleme, dass man meint, sie sei die Mutter ihrer Mutter. Auf der anderen Seite trägt das Mädchen Wunden auf dem Rücken, die davon rühren, dass sie sich von ihrem ersten Freund verprügeln lässt. Eigentlich will sie das nicht, trennt sich vorerst aber auch nicht von ihm, während sich gleichzeitig eine Liebesgeschichte mit einem anderen Jungen entspinnt und sie den jüngeren Bruder in Schach halten muss. Der ist überaus aggressiv und rundet das Bild eines Haushalts der Besserverdienenden ab, das nicht unbedingt dem Familienbild ehemaliger Nachrichtensprecherinnen und amtierender Bischöfe entspricht.
Leyla kommt aus dem arabischen und meint Nacht. Da in heutigen Familien nichts mehr ist, wie es scheint, stellt Darja Stocker mit Leyla eines jener Nachtwesen vor, die einen Ausweg aus der Verlogenheit pseudoliberaler Erziehungsverhältnisse suchen. Es sieht so aus, als habe sie den Notausgang bereits gefunden, indem sie mit ihrem neuen Freund Moe den Absprung aus der selbstverschuldeten Duldsamkeit probt und dabei so selbstbewusst wirkt, dass man sich wohl keine Gedanken mehr um sie machen muss. Gleiches gilt für Darja Stocker, deren Sprache sich nicht nur im Kopf einnistet, sondern auch die Theater von Zürich über München und Hannover bis Hamburg veranlasste, den Erstling zu inszenieren und die Potentiale des Stücks frei zu legen.
Jürgen Berger

 

Uraufführung: 
18.3.2006, Theater an der Winkelwiese, Zürich
Premiere: 
22.11.2006, Thalia in der Gaußstraße

 

Leyla: Lisa Hagmeister
Moe: Ole Lagerpusch
Mutter: Anna Steffens
Rico: Patrick Güldenberg

Regie: Jette Steckel
Bühne: Florian Lösche
Kostüme: Pauline Hüners

 

Stückabdruck: 
Theater heute, 7/2006