Käthe Hermann

Szene aus Käthe Hermann von Anne Lepper
Theater Bielefeld

1 Stunde 20 Minuten



Stücke 2012

 

Käthe Hermann, das hört sich nicht nach einem zeitgenössischen Stück an. Aber diese Käthe ist weder einer Figur von Gerhard Hauptmann noch die Heldin eines Mundart-Schwanks, sondern eine ältere Dame, die in der Überzeugung lebt, ihre Ballett-Weltkarriere stünde unmittelbar bevor. Mental verschanzt in einem Einfamilienhaus, dem der Abbruch für den Kohletagebau droht, lebt sie mit ihren beiden Kindern in der glücklichen Vorfreude auf ihren baldigen Ruhm. Vernünftige Einwände der Tochter kratzen ebensowenig an dieser weiblichen Don-Quixoterie in vier Wänden wie der Verlust von Haus und staatlicher Unterstützung. Nur der behinderte Sohn mit Sex-Manie hält Mutters Ballett-Windmühlen für echte Zukunfts-Riesen.
Anne Lepper, der mit Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier noch ein zweites beachtenswertes Stück über schräge Kindheiten gelungen ist, präsentiert sich mit Käthe Hermann als ein Ausnahmetalent. Sprachlich kunstvoll verknappt und doch reich an Weltbezügen und Subtexten entwickelt Lepper aus der kleinen Zelle das Porträt einer Gesellschaft des Selbstbetrugs.
Drei schräge Figuren reichen vollständig aus, um die ganze verkleidete Eigensucht auszumalen, mit der die Quoten-Medien die TV-Psychen ständig vollstopfen. Und so endet dieses Stück auch in einer großen mütterlichen Phantasie von Massen-suggestion durch eine Fernseh-übertragung ihres Ideal-Lebens in die ganze Welt, während die Tochter stirbt.
Bizarr, verrückt, und doch so wahr.
Till Briegleb

 

Uraufführung: 
5.1.2012

 

Käthe: Therese Berger
Irmi: Hannah von Peinen
Martin: John Wesley Zielmann

Regie: Daniela Kranz
Bühne und Kostüm: Okarina Peter, Timo Dentler
Dramturgie: Claudia Lowin
Regieassistenz & Abendspielleitung: Lena Hesse