Stücke 2012
Es ist ein großes, waidwundes „Ich“, das uns da auf Kathrin Bracks weiter, leerer Bühnenflur begegnet: Peter Handke selbst, respektive sein Alter Ego in Gestalt des grandios eigenwilligen Schauspielers Jens Harzer führt uns hinaus auf das Jaunfeld, jenes Gebiet der Kärntner Slowenen, aus dem Handkes Familie stammt. Hier lässt der Autor seine Vorfahren wieder lebendig werden – die Mutter, die Tante, die Onkel, die Großeltern –, beschwört ihre Geschichte, ihre Sprache, ihre von den Repressionen der NS-Politik bedrohte Kultur. Es waren die Kärntner Slowenen, die als einzige Volksgruppe im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland bewaffneten Widerstand leisteten – Handke baut das mit ein in die Familiengeschichte –, doch Österreich hat ihnen das nie gedankt. Nach dem Krieg gehörten sie wieder zu den Randgruppen, wurden als Landesverräter im Dienst des kommunistischen Jugoslawiens verfolgt.
Immer noch Sturm ist Peter Handkes persönlichstes, durchlässigstes Stück, ein traumatisch-dramatisches Gedicht, in dem sich Familien- und Weltgeschichte bitter verzahnen, das Private sich im Allgemeinen wie in einem historischen Vexierspiegel bricht und leuchtende Erinnerungen „auftanzen“ an eine untergegangene Welt. In einer Vielzahl von Stimmen und Spielszenen, denen Dimiter Gotscheff in seiner Inszenierung so viel Raum wie Empathie gewährt, entwirft Handke ein großflächiges Panorama mit Blick auf die Verlierer der Geschichte. Das ist mit entwaffnender Leichtigkeit und einer schönen, fast heiteren Poesie geschrieben. Man fühlt sich zuhause an diesem wehmütigen Theaterabend, geborgen in der Sprache, die uns Menschen Heimat ist.
Christine Dössel
Mit: Bibiana Beglau, Jens Harzer, Matthias Leja, Hans Löw, Heiko Raulin, Gabriela Maria Schmeide, Oda Thormeyer, Tilo Werner
Regie: Dimiter Gotscheff
Bühne: Katrin Brack
Kostüme: Ellen Hofmann
Musik: Sandy Lopicic
Musiker: Matthias Loibner, Sandy Lopicic
Dramaturgie: Beate Heine