Stücke 2010
Der Name Natascha Kampusch fällt kein einziges Mal, und doch ist nach wenigen Sätzen klar, dass es hier um sie geht, um den Fall der im Kindesalter entführten, erst nach acht Jahren höllischer Gefangenschaft befreiten Österreicherin, die scheinbar selber zu Wort kommt. Doch das „Ich“, das hier in andauernder indirekter Rede spricht, ist nur eine Projektion, in der sich die Kommentare der anderen spiegeln, der Bescheidwisser, Sensationsgeier, kurz: die „Beteiligten“, wie Kathrin Röggla sie im Titel nennt. Die Psychologin, der Journalist, die neugierige Nachbarin: Es sind solche selbst ernannten Experten, die hier sprechen und sich in ihrer konjunktivistischen Rede des Opfer-Ichs bemächtigen: „sie wolle ja nur sagen...“, „ich liefe gefahr, eine prinzessinnendiktatur zu errichten...“. Im Stimmenkonzert dieser nicht direkt, sondern über die Medien an der Sache Beteiligten, erklingt nicht nur die Resonanz, die der Fall Kampusch in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat – es blitzt in dem indirekten Redefluss auch die entlarvende Perspektive des „Opfers“ auf seine es vereinnahmende Umwelt auf, wie hier überhaupt öffentliche und mediale Wahrnehmung sehr raffiniert hinterfragt wird. Die Katastrophenspezialistin Kathrin Röggla hat da kluge Spracharbeit geleistet. Und Stephan Rottkamp hat mit Hilfe der kongenialen Raum- und Videoinstallation von Robert Schweer eine starke, die scheinbare Live-Situation mehrfach brechende Umsetzung dafür gefunden. In der Möglichkeitsform eröffnet sich hier ein neuer Blick auf die Wirklichkeit.
Christine Dössel
Mit: Denis Geyersbach, Claudia Hübbecker, Anna Kubin, Wolfram Rupperti, Pierre Siegenthaler, Susanne Tremper
Inszenierung: Stephan Rottkamp
Raum- und Videoinstallation: Robert Schweer
Kostüme: Esther Geremus