Schwerelos durchs Weltall


Diskurs

Die Legende besagt, irgendwo im Weltall schwebt ein kirschroter Tesla herum, den der Unternehmer und Milliardär Elon Musk für ein Experiment vor fünf Jahren in den Weltraum schoss. Dieser Sportwagen im All war die Inspiration für die Grundidee von Anah Filous Stück „kirschrotGALAXIE“, das sie gemeinsam mit dem Ensemble des Kinder- und Jugendtheater „überzwerg – Theater am Kästnerplatz“ in Saarbrücken entwickelte. Inspiration für die Grundidee deshalb, weil es dann doch nicht wirklich um ein Auto im Weltraum geht. Aber es gehe immerhin um Weltraum. Ungefähr. So versucht es jedenfalls Techniker und Musiker Andreas Braun in einem Satz zusammenzufassen. Tatsächlich spielt die Handlung kurz vor dem geplanten Start ins Weltall. Denn bevor man richtig starten kann gibt es doch noch einiges zu klären. Zum Beispiel welches das perfekte Wort zum Start ist und was man auf jeden Fall mit auf eine Reise ins Weltall nehmen sollte. In Richtung All kann es allerdings erst gehen, wenn man sich gemeinsam einig wird, dass man die Reise wirklich antreten sollte. 

Dieses „gemeinsam“ ist auch abseits der Handlung ein elementarer Teil der Stückentwicklung gewesen. Der Produktionsprozess war ein anderer, als der Großteil vom Team ihn in der Vergangenheit erlebt hatte. Während in den meisten Fällen ein*e Autor*in ein Stück schreibt, das dann von den Schauspieler*innen geprobt wird, lief es bei „kirschrotGALAXIE“ anders. Stephanie Rolser, Regisseurin und künstlerische Leiterin des Theater überzwerg, erinnert sich an die Einigung auf eine Autorin, Anah Filou, mit der zusammen sie ein Thema für ein Stück festlegte. Die Proben wurden in vier Blöcke aufgeteilt, bei denen die Autorin jeweils mit dabei war. Einzelne Szenen standen bereits im Vorfeld fest, so zum Beispiel der Herz-Monolog von Schauspieler Nicolas Bertholet, in dem er von dem Wachsen und dem Lieben eines Herzens im Weltall erzählt, den Rolser sofort unverändert in die Inszenierung aufnehmen wollte. Aber die meisten Szenen ergaben sich erst im Laufe der Proben, insbesondere aus den Improvisationen der Schauspieler*innen auf der Bühne. 

In gegenseitiger Wechselwirkung schrieb Anah Filou kleinere Szenen, die von den Schauspieler*innen ausprobiert und durch Improvisationen erweitert wurden. Deren Fortsetzung schrieb dann Filou wiederum weiter, um auf der Bühne damit experimentieren und spielen zu lassen. So entstand zum Beispiel auch die Szene rund um den Countdown, erzählt Schauspielerin Anna Bernstein, irgendwann sei nur noch mit Zahlen um sich geworfen worden, weil niemand der Improvisation auf der Bühne ein Ende habe setzen wollen. Aus kleinen Späßen habe sich so unter anderem eine der grundlegendsten Szenen des ganzen Stücks ergeben. Doch nicht nur die Schauspieler*innen auf der Bühne waren gefragt, der Produktionsprozess involvierte das gesamte Team. Alle Bereiche teilten ihre Assoziationen mit dem Weltraum und gingen als Gruppe ins Weltraum-Atelier, um sich der Thematik gemeinsam zu nähern. Dramaturgin Mirka Borchardt bezeichnet es als eine der besonderen Eigenschaften, die ein kleines, unabhängiges Haus, wie das Theater überzwerg mit sich bringt: „Jeder darf seinen Senf dazu geben“. Wie bei der Textentwicklung wurde auch bei der Ausstattung der Bühne einiges ausprobiert, Dinge wurden weggenommen, andere hinzugefügt, bis das Bild zum Text passte, so die Bühnengestalterin Dorota Wünsch. Wirklich von Beginn an festgestanden habe auch hier nichts. Einzig das Element der Rollschuhe war von Anfang an gesetzt. Auf die Frage nach dem Warum kann Stephanie Rolser nur antworten: „Keine Ahnung, das war ein Bild, das ich hatte“. Aber es ist ein Bild, das funktioniert, vielleicht weil es so nah an die Stimmung der Schwerelosigkeit im Weltall herankommt, ohne tatsächlich jemanden in der Luft schweben zu lassen. 

Aus der Zusammenarbeit mit Anah Filou teilt das Ensemble sehr positive Eindrücke. In dem, was Filou schreibe, könne man sich immer gut wiederfinden. Das Besondere an den Texten der Autorin sei vor allem, dass sie es schaffe,„eine Sprache zu finden, an der Kinder total andocken können und trotzdem ganz viele Metaebenen reinzuschreiben“. 

Zwar handelt „kirschrotGALAXIE“ im weitesten Sinne vom Weltraum, von Countdowns und Starts und Nicht-Starts, doch die Essenz des Stückes sehen Mirka Borchardt und Stephanie Rolser eher woanders: „Es ist so beruhigend, wenn man es mal von außen betrachtet und sieht, wir sind wirklich so klein im großen Ganzen“, sagt Borchardt. Rolser kann dem nur hinzufügen: „Ich bin so klein in diesem Universum, aber ich bin nicht unwichtig. Alles was ich tue hat Auswirkungen auf andere.“ 

Und das scheint es schließlich doch ganz gut zu beschreiben, nicht nur das Stück, sondern auch den Produktionsprozess. Jeder Beitrag, und sei es nur eine Improvisation aus Spaß gewesen, hat seine Auswirkungen gehabt und das Stück zu dem geformt, was das Publikum sieht. „kirschrotGALAXIE“ ist ein Theaterstück, das in seiner Entwicklung, in seinen Proben, und schließlich auch in seiner Handlung vom Miteinander lebt, im Kleinen wie im Großen.