Zwischen Wurzeln und Heimat


Kritik

Der Ringlokschuppen Ruhr ist gut besucht. Die Frage nach der eigenen Identität, der eigenen Herkunft und der sich darum entfaltende Familienkonflikt, den Akın Emanuel Şipal in „Mutter Vater Land“ beschreibt, scheint viele zu interessieren. Der Text setzt sich mit dieser Thematik auf eindrucksvolle Art auseinander und verdient zurecht die Nominierung für den diesjährigen Mülheimer Dramatikpreis. Die Inszenierung von Frank Abt kann allerdings nicht mithalten.

Von einem erhöhten Stuhl aus wacht die Sängerin Nihan Devecioglu über den Einlass. Es wird langsam dunkel, während ein heller, arabisch anmutender Gesang in die Ohren der Zuschauer*innen dringt. Wie Wellen schwappt er auf und ab. Der Text passt nicht ganz zur Melodie, es wirkt gezwungen. Eine rechts an die Wand projizierte Karteikarte hilft bei der zeitlichen Einordnung des Geschehens: Wir befinden uns im Jahr 2063. Die Inszenierung dreht damit die Zeitlinie des Stückes um, das eigentlich 1914 einsetzt. Ein kreativer Kniff, der das geschickte Spiel mit der Zeit innerhalb des Textes herausstellt und auf die Bühne bringt.

Optisch gibt das Bühnenbild nicht viel her: Auf dem Boden verlaufen zwei helle Holzwege, die sich in der Mitte kreuzen, hinten die schwarze Wand, der Stuhl in Bademeisterhöhe und ein großer Glaskasten, links ein Klavier. Ähnlich trist sind die Kostüme (Susanne Schuboth) der Schauspieler*innen: Der Vater trägt eine braune Hose und eine dunkelrote Strickjacke, das Alter Ego ist in dunkles Blau gehüllt, die restliche Farbpalette besteht hauptsächlich aus Grau. Für einen kleinen Farbtupfer sorgt lediglich das grellrote Bolerojäckchen der Mutter.

Auf den Holzwegen begegnen sich vier Generationen einer Familie, erzählen in Dialogen ihre Geschichten, die wiederum von der Erzählung des Alter Egos eingerahmt werden. Im ersten Teil wird viel gestritten. Tatsächlich charakterisiert sich die Figur des Vaters auch im weiteren Verlauf des Stückes allein über das Streiten mit den übrigen Familienmitgliedern. Sein Spiel erhält dadurch wenig Tiefe und wirkt angestrengt. In der Zwischenzeit ist Devecioglu von ihrem Stuhl herabgestiegen und hält ihren ersten Vortrag als Alter Ego. Der Begriff „Vortrag“ trifft es hier sehr gut, denn Devecioglu gelingt es nicht, mit ihrem Spiel die Emotionalität des Textes rüberzubringen. Dafür berührt sie durch ihren Gesang, der immer mal wieder in die Inszenierung eingestreut wird. Überhaupt lockern die verschiedenen Musikeinlagen, mal auf Deutsch mal auf Türkisch, das Geschehen auf.

Die Alten im Nacken

Die Vortragssituation wiederholt sich im Verlauf der Inszenierung: Das Licht auf der Bühne wird allmählich dunkler, erhält einen orangefarbenen Schimmer und konzentriert sich schließlich auf die Schauspieler*innen in der Mitte. Dann werden die Zuschauer*innen mit einem plötzlich aufscheinenden Licht geblendet. Diese Art der Redundanz sorgt für unnötige Längen in der Inszenierung.

Die Zeitsprünge geschehen unaufgeregt und ereignislos. Wer nicht regelmäßig auf die Projektionen schaut, verliert schnell den Überblick. Den Beginn des zweiten Teils markiert der Auftritt eines weiteren Alter Egos in grauem Anzug. Anstelle des Vaters steht nun die Geschichte der Mutter im Mittelpunkt. Passend dazu wird das Wort „Vater“ im an die Wand projizierten Titel abgedeckt. Dort steht nun: „Mutter Land“. Auf dem Stuhl nehmen mal der Opa und mal die Oma Platz. Die ältere Generation thront über ihren Nachkommen und sitzt ihnen weiterhin im Nacken. Eine gelungene Darstellung des Identitätskonfliktes, dem Hin- und Hergerissen-sein zwischen türkischen Wurzeln und deutscher Heimat.

Irgendwann hören die Projektionen auf und die Jahreszahlen werden mit weißer Kreide groß auf eine Tafel geschrieben. Der Titel lautet jetzt wieder „Mutter Vater Land“. Ansonsten ändert sich nicht viel. Die Dialoge plätschern weiter vor sich hin, es gibt ein kurzes Geschrei. Stellenweise erinnert die Inszenierung eher an eine Lesung. Daran ändert auch die unbeholfene Rap-Einlage des dritten Alter Egos gegen Ende der Aufführung nichts. Nach einem verhaltenen Applaus bleibt die Frage zurück, weshalb nicht kreativer mit Şipals Text umgegangen wurde.