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Niemand verschwindet gelassen


Gespräch

Für das Publikumsgespräch von „All Right. Good Night.“ von Helgard Haug ist wieder ein langer Tisch vorbereitet worden. Dieses Mal bemerkenswert: Mehr als die Hälfte der Beteiligten sind Musiker*innen (des Zafraan Ensembles). Denn auf der Musik von Komponistin Barbara Morgenstern liegt in der Inszenierung genau so ein Fokus wie auf dem Text. Statt durch Darstellende wird dieser größtenteils in Schriftform auf einen Gaze-Vorhang projiziert. Beim Publikumsgespräch liegt der Fokus wiederum auf dem Duo Haug und Morgenstern – die beiden haben bereits zum fünften Mal zusammengearbeitet. Und auf den Themen Verschwinden, Repräsentieren, Würde und bewusstes Verlorengehen. Unbewusst gehen einer der Musiker und ein Namensschild verloren (er ersetzte kurzfristig eine erkrankte Kollegin). Im Gespräch wird offenbar: sich verlieren ist gut, verschwinden eher weniger.

„All right. Good night.“ teilt sich in zwei Stränge, von denen einer das Flugzeugunglück um den Malaysia-Airlines-Flug 370 beleuchtet, der andere die Demenz von Haugs Vater. Das Flugzeug verschwindet, ebenso die Identität des Vaters, das Stück hingegen ist ein Manifest. Daraus lässt sich unter anderem das Paradox des Theaters ableiten. Immer wieder fordert der Vater während des Prozesses der Demenzerkrankung eindrücklich Würde im Umgang, auch deshalb sei es so wichtig, wie er denn erinnert werde. Diese Arbeit unterscheidet sich von anderen Projekten von Helgard Haug, die die Texte ihrer Dokumentartheaterstücke üblicherweise zusammen mit den Protagonist*innen erarbeitet. Denn hier wird eine Person inszeniert, die aufgrund ihrer Demenz keinen Einfluss auf ihre Darstellung nehmen kann. Wie er inszeniert wird, steht nicht zur Verhandlung mit ihm, dafür aber mit Geschwistern und Familie, denn die müssen erstmalig autorisieren, was Haug auf die Bühne trägt. Als Dokumentartheatermacherin sei für sie immer auch die Frage nach der Repräsentation der Portraitierten wichtig. Es müsse niemand heiliggesprochen werden, aber in gewisser Weise solle die Figur des Vaters auch durch ihn selbst gefüllt werden, etwa durch eigene Texte, in denen seine politische Haltung zum Thema Demenz oder zur Würde ihn selbst sprechen lassen.

Trost durch Musik

Morgenstern hat das Thema des Verschwindens auch in der Musik aufgegriffen. „Man verschwindet nicht gelassen.“ Es sei Stress und Verwirrung. Musik könne da auch Trost sein. Man merkt dem Ensemble an, dass es das Thema persönlich (an-)genommen hat. Auf dem Podium, im Kontrast zum emotionsaussparenden Stück, wird es beinahe privat, wenn von den Ängsten um die eigenen Eltern berichtet wird.

Die Musik erinnert eine Person im Publikum an eine Inszenierung von „Drei Kameraden“, die in Russland sehr populär sei. Womöglich ist damit die Interpretation des Theaters SOVREMENNIK von Erich Maria Remarques Roman gemeint. Ob Morgenstern sich daran orientiert habe oder denke, dass es ähnlich klinge? Zum ersten Mal bahnt sich ein Hauch von Brisanz an, der Kommentar könnte immerhin in einen Plagiatsvorwurf münden. Das wird allerdings schnell von Morgenstern aufgelöst, da sie das Stück nicht kenne. Der Schwebezustand interessiere sie. „Wie können wir das Ungewisse aushalten?“ Morgensterns Ausführungen entfernen sich von „Drei Kameraden“, die Fragestellerin kommt darauf zurück, indem sie ihre eigene Frage beantwortet: "Wahrscheinlich klingt es dann wirklich so."

Im Saal ist man vor allem dankbar. Das Publikum dankt dem Ensemble, das Ensemble dankt sich gegenseitig. Dafür, dass sie keine einfältige Popmusik spielen müssen zum Beispiel, die nach dem zweiten Mal erwartbar sei.

Erwartungen an das Format Publikumsgespräch bleiben, an reibungslosere Anmoderationen oder Dialoge mit mehr Reibung. Potenzial dafür hätte vielleicht die Sichtweise: Demenzmomente sind irgendwo auch schön. Es bleibt zusammenfassend ein „schwierig-spannend-emotionales“ Thema.