Angst, Alter?


Kolumne

Mit 24 ist man alt. Denn dann ist es ja nur noch ein Jahr bis man 25 wird und ab da geht es gerade auf die 30 zu und mit 30, tja, da ist man dann erst recht alt. So oder so ähnlich äußerte sich mir gegenüber vor einiger Zeit eine Anfang 20-Jährige. Mir fiel damals keine passende Antwort ein, die Äußerung blieb mir aber im Kopf und kam mir wieder in den Sinn, als ich die Inszenierung von Teresa Doplers „Monte Rosa” gesehen habe. Dort geht es unter anderem um die Angst vor dem Älterwerden. So tragen zwei der Figuren Perücken auf dem Kopf, mit denen sie ihren altersbedingten Haarausfall vertuschen wollen. Der Dritte und Jüngste im Bunde ist auch gleichzeitig der Begehrenswerteste. Für eine gewisse Zeit schließt er sich einem der Älteren an, lässt ihn aber dann in den Bergen zurück. Die Begründung: Der Alte kann nicht mithalten.

Frauen werden im Schnitt 83 Jahre alt, Männer 78. Warum also denken manche, ihr Leben wäre schon mit 30 vorbei? Vielleicht, weil das bis dahin bekannte Leben vorbei ist. Mit Anfang zwanzig befindet man sich noch im Studium oder in der Ausbildung, der Lebensweg ist noch schwammig. Mit Dreißig hat doch jeder schon einen Beruf, steht fest im Leben. Oder nicht? Die Angst vor dem Älterwerden ist auch mit einer Angst vor der Zukunft verbunden, die Furcht davor, dem Vertrauten den Rücken kehren zu müssen. Wer weiß schon mit zwanzig genau, wo er oder sie in zehn Jahren landen wird? Und wer weiß das mit dreißig? Der Unterschied ist nur, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an die Dreißig viel höher sind als an die Zwanzig. Noch nicht verheiratet? Dann wird es langsam aber Zeit. Noch keine Kinder geplant? Mit 30 steigt das Risiko in der Schwangerschaft. Übrigens, Antifaltencreme sollte man auch schon ab dreißig verwenden, um jeglichen Altersspuren vorzubeugen. Der Schein muss doch gewahrt werden. Wie soll man bei diesem Druck kein mulmiges Gefühl bekommen?

In den sozialen Medien, vor allem auf Instagram, sieht man lauter unter 30-Jährige, die ihr junges Leben feiern oder ihre „Night time routine as a young married Couple“ zur Schau stellen. Werbung wird nach dem Motto „jung und sexy” gestaltet. Selbst Heckenscheren werden durch dynamische Schnitte und grinsende, faltenfreie Gesichter ins junge Licht gerückt. Richtet sich eine Werbung speziell an ältere Menschen, geht es um Gürtelrose, Inkontinenz oder Demenz. Da steigt doch die Freude aufs Älterwerden. Mit Mitte zwanzig nimmt mich der Youtube- Algorithmus scheinbar als Teil der von solchen Themen betroffenen Zielgruppe wahr. Ein weiteres Beispiel: die Bahncard für junge Menschen gilt bis zu einem Alter von 26, danach gehört man eben zu den Alten. Es hat den Anschein, als würde man mit den Zwanzigern auch einen exklusiven Club verlassen. Und damit sollten wir entspannter umgehen. Wir werden älter, ob wir wollen oder nicht. Unsere Hintern werden schlaffer, unsere Haut faltiger und irgendwann kommen wir ähnlich wie die Bergsteiger in „Monte Rosa“ aus der Puste. Und nein, man muss mit 30 noch nicht alles erlebt und gesehen haben. Die nächsten fünfzig Jahre wollen ja auch noch irgendwie gefüllt werden. Jetzt gerade fällt mir eine gute Antwort auf die Äußerung der Anfang 20-Jährigen ein: Ich wünsche dir Gelassenheit.