Quero – Ich klage!


Kolumne

Wäre das Theater ein Mensch, dann wäre er definitiv ein heterosexueller Cis-Mann. Das ist kein Witz, die Pointe bleibt aus. Ich habe nach einem möglichst schwachsinnigen Einstieg gesucht, um Ihre Aufmerksamkeit als Leser:in bereits nach den ersten beiden Zeilen zu gewinnen. Etwas Einfallsreicheres ist mir partout nicht eingefallen. Ich bitte dies zu entschuldigen. In diesen Zeiten bekommen bekanntermaßen ja diejenigen die meiste Aufmerksamkeit, die polarisieren, die mit ihren Worten unsichtbare Grenzen überschreiten. Und wer immer behauptet hat, man könne Feuer nicht mit Feuer bekämpfen, den Kater nicht mit Alkohol besiegen, der hat es selbst einfach noch nicht versucht. Es lebe der Doppelmoralismus, hehe.

Und jetzt, da ich Ihre Aufmerksamkeit gewonnen habe, möchte ich gemeinsam mit Ihnen über die Bedeutung sprechen, den dieser Tag für viele Menschen in Deutschland hat (also ich spreche und Sie können mir in Gedanken antworten). Denn heute ist der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (kurz: IDAHOBIT). Und bevor Sie hier schon wieder aussteigen wollen, weil Sie als Teil der Mehrheitsgesellschaft nicht Ihre Zeit mit den Problemen marginalisierter Minderheiten vergeuden wollen: Ich fände es trotzdem schön, wenn Sie sich die Zeit nähmen. Denn es ist ein wirklich wichtiges Thema. Und weil Komplimente und tiefe Blicke in die Augen des Gegenübers für Sympathie und Empathie sorgen: Sie sehen heute einfach fantastisch aus! Und jetzt müssen Sie sich einfach nur noch vorstellen, wie ich Ihnen mit meinen strahlend blauen Augen und einem verschmitzten Lächeln in die Augen schaue. Erstaunlich, wie leicht das funktioniert, oder?

Der Kampf ist noch nicht zu Ende gekämpft

Back to Business: Falls Sie nicht konkret wissen, warum es diesen Tag gibt – lesen Sie hier weiter. Falls doch, können Sie diesen Absatz einfach überspringen. Bereits seit 2005 lenkt dieser Aktionstag die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf queerfeindliche Gewalt und Diskriminierung. Denn ja, auch in Deutschland werden im Jahr 2021 immer noch Menschen beleidigt, geschlagen, bespuckt, vertrieben und in die absolute Unsichtbarkeit gedrängt, die in ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität von der Heteronormativität abweichen. Und ja, Sie haben vollkommen recht mit Ihrer Annahme, dass in den letzten Jahren viel passiert ist und auch viel für die LGBT-Community erreicht wurde. Doch der Kampf um Gleichberechtigung, Freiheit und vor allem Sichtbarkeit ist längst nicht zu Ende gekämpft. Zumal jene gesellschaftlichen Kräfte wieder lauter werden, die sich die Queerfeindlichkeit auf die Fahne geschrieben haben, die in den Parlamenten dieses Landes sitzen, die Regenbogenflaggen verbrennen und eine Rückkehr zum „traditionellen Familienbild“ ausrufen. Der Kampf muss weitergehen, ein Rollback verhindert werden. Und das Tag für Tag für Tag.

Welche Rolle spielt dabei das Theater? Schließlich versteht sich die Institution seit jeher als moralische Instanz, als fortschrittlich, diskriminierungsfrei, weltoffen und irgendwie links. Und natürlich auch als systemrelevant. Wenn dem so ist, sollten wir unsere Fremdwahrnehmung des Theaters an dessen Selbstwahrnehmung anpassen und dementsprechende Standards anlegen. Da muss schon mehr kommen als ein Instagram-Post mit einem Herz in Regenbogenfarben zum örtlichen Christopher Street Day. Wir müssen diese Menschen sichtbar machen, „visible“ auf Englisch (ich möchte hier nicht mit irgendwelchen A-level Englischkenntnissen prahlen, sondern im selben Atemzug die gleichnamige, dokumentarische Apple TV Serie empfehlen, bei der es um die Geschichte homo- und transsexueller Sichtbarkeit im Fernsehen geht).

Das Theater möchte gerne den Querschnitt der Gesellschaft abbilden. Doch dabei scheint es übermäßig und überartikulierend betonen zu wollen, dass mit Querschnitt wirklich alles gemeint ist: ein heterosexueller Cis-Mann mit Alkoholproblemen, ein heterosexueller Cis-Mann mit einem ausgeprägten Sexualtrieb, ein heterosexueller Cis-Mann mit einem Schnurrbart und vielleicht noch eine heterosexuelle Cis-Frau, allerdings nur als Haushälterin, Amme oder Accessoire neben einem weiteren heterosexuellen Cis-Mann – nur nicht queere Menschen. Liegt aber eigentlich auch auf der Hand, das ist ja ein „e“ zu viel. Queere Geschichten und Charaktere finden auch heutzutage nur schwer den Weg auf deutschsprachige Theaterbühnen. Warum das so ist? Darauf habe ich bis heute keine abschließende Antwort gefunden.

Queere Charaktere auf der Bühne? Mangelware!

Als ich am Samstagnachmittag mit dem Schauspieler Til Schindler in einer Telefonschalte von Düsseldorf nach Wien hänge, stelle ich ihm die gleiche Frage. „Es wird so selten thematisiert, weil Queerness weiterhin nur als ein Randthema wahrgenommen wird und es folglich auch keine wirkliche Repräsentation und Sichtbarkeit gibt“. Ich muss einen Augenblick nachdenken und frage mich, wie viele Produktionen ich eigentlich bislang gesehen habe, in denen eine queere Thematik oder Protagonist:innen im Zentrum der Handlung standen. Ich zähle vier und gebe die Frage an Til weiter. Auch er braucht einen Moment, um seine Erinnerungen zu durchforsten und kann mir sogar nur eines nennen: „‘Small Town Boy‘ von Falk Richter am Maxim Gorki Theater in Berlin“ – DAS „schwule Vorzeigestück“ des letzten Jahrzehnts. Und das habe ich selbst auch gesehen. Zusammen kommen wir also auf vier Produktionen. Wie viele können Sie aufzählen? Und wie oft haben Sie im Vergleich dazu schon das Wort „Schwuchtel“ über die Bühne rufen hören? So viele Hände habe ich gar nicht…

2016 gaben in einer repräsentativen Studie 7,4% der Befragten in Deutschland an, sich als nicht-heterosexuell zu identifizieren. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Wir sprechen hier also nicht von ein paar Abweichlern. Wie passt dann das Verhältnis von homosexuellenfeindlichen Beschimpfungen und schwulen Protagonisten auf den Theaterbühnen zusammen? Kurz gesagt: gar nicht. Jahrhundertelang haben wir Schauspieler in männlichen, heterosexuellen Hauptrollen die Bühnen am laufenden Band auf- und abtreten sehen. Wir haben sie brüllen, kämpfen, trinken, leiden, ficken, küssen und trauern gesehen. Die Narrative wurden dem Publikum in schier endlosen Variationen vorgeführt. Können wir dann jetzt endlich auch mal damit anfangen, die Geschichten, Träume, Erfahrungen und Probleme der Menschen zu erzählen, die wieder und wieder in die Unsichtbarkeit gedrängt wurden! Würden Sie auch dann noch ins Theater gehen, wenn das Theater ein bisexueller Trans-Mann wäre? Oder eine lesbische Cis-Frau? Oder eine pansexuelle non-binäre Person?