Kuscheltiere und Kinderarbeit


Diskurs

„Er ist ein ganz besonderer Löwe... er bringt nämlich Glück“. Das Theaterstück „Löwenherzen“ von Nino Haratischwili erzählt die Geschichte eines Löwen-Kuscheltiers, genäht vom achtjährigen Anand in Bangladesch. Denn Anand muss arbeiten, um seine Familie zu unterstützen. Der Löwe geht mit einem Brief im Bauch auf eine Reise zu vielen verschiedenen Kindern in Europa und Afrika. Am Ende gelangt er zurück zu Anand - über dessen Mutter, die als Leihmutter so viel Geld verdient hat, dass Anand nicht mehr in der Fabrik arbeiten muss.

Beim Lesen wandert mein Blick immer wieder zu meinem eigenen Kuscheltier. Es ist ein hellgrau-weißer Koalabär. Sein Gesicht ist ein bisschen schief, die linke Backe ist etwas dicker als die rechte, dadurch steht auch das linke Auge höher. Fast wie das schiefe Auge vom Löwen. Einen Mund hat er nicht, trotzdem schaut er immer so, als würde er mich anlächeln. Im Home-Office sitzt er manchmal auf meinem Schreibtisch, dann fällt mir die Arbeit leichter. Denn irgendwie strahlt sein Blick etwas Beruhigendes aus. Ich habe ihn Blinky genannt. Ich war nicht besonders kreativ, ich musste einfach an den Koala aus der Zeichentrick-Serie Blinky Bill denken.

Tatsächlich ist das nicht mein Kuscheltier aus Kindheitstagen, ich habe Blinky erst bekommen, als ich schon erwachsen war. So wie Alex der Fotograf, der war auch schon erwachsen, als er den Löwen im Stück bekommen hat. Und er hat ihm und allen anderen Kindern Glück gebracht. Ob mir Blinky auch Glück bringt? Das weiß ich nicht so genau, vielleicht hat er das schon. Mein Papa hat mir Blinky geschenkt, als ich schon 19 Jahre alt war. Im Dezember 2015 haben mich meine Eltern bei meinem Auslandsjahr in Australien besucht. Wir waren dort ganz im Süden des Landes an der Great Ocean Road unterwegs. An einem Tag verschlug es uns in einen Souvenirshop, wo ich das Koala-Kuscheltier sah.

Vielleicht hat ihn auch ein Kind wie Anand genäht

Kurze Zeit vorher hatte ich das erste Mal einen richtigen Koala in den Bäumen hoch oben über der Straße sitzen sehen. Da kam das Kuscheltier nun wie gerufen, ich wollte so gerne ein Andenken – an die Koalabären, an das Land. Das Kuscheltier sah aus, als würde es mich direkt anschauen und lächeln. So, wie es das jetzt immer noch tut, wenn es mich beim Arbeiten unterstützt. Ich wollte diesen Koala unbedingt haben. Mein Papa hat ihn mir dann gekauft. Meinen Blinky. Vielleicht hat ihn auch ein Kind wie Anand genäht. Unter furchtbaren Arbeitsbedingungen. Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, als ich ihn bekam. Darüber macht man sich viel zu wenig Gedanken. Insbesondere bei Spielzeug und Kuscheltieren. Ich als Erwachsene schon nicht genug - und gerade für Kinder sind diese Zusammenhänge fast unmöglich zu verstehen. Welches Kind macht sich Gedanken, wo das Kuscheltier herkommt, wenn es in die dunklen Kulleraugen blickt und das flauschige Fell berührt?

Für viele Kinder in reicheren Ländern ist Spielzeug selbstverständlich. Nicht aber für Kinder wie Zula im Senegal oder Amari aus Mali – und vor allem nicht für Kinder wie den achtjährigen Anand aus Bangladesch. Denn er muss die Kuscheltiere nähen. Jeden Tag, um Geld für seine Familie zu verdienen. Damit er irgendwann zur Schule gehen kann. Wie Anand geht es vielen Kindern. Weltweit müssen laut Unicef noch rund 152 Millionen Kinder „unter Bedingungen arbeiten, die sie ihrer elementaren Rechte und Chancen berauben.“

In Asien gibt es 62 Millionen Kinderarbeiter:innen. In Bangladesch sind es 1,7 Millionen arbeitende Kinder. Das Land gehört damit zu den Ländern mit dem höchsten Anteil an Kinderarbeit auf der ganzen Welt. 44 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze – das heißt, sie haben weniger als zwei US-Dollar am Tag. Deswegen müssen Kinder arbeiten – weil ihre Familien alleine nicht genug Geld verdienen.

Europa – eine bessere Welt?

Anand aus Bangladesch erzählt in "Löwenherzen", dass die Kuscheltiere alle nach Europa geschifft werden. Europa sieht für ihn aus wie eine bessere Welt. Er schreibt einen Brief nach Europa, an Gott, denn Anand glaubt, dass Gott dort lebt. Dort, in der ‚besseren‘ Welt. „Wenn ich Gott wäre, würde ich auch in Oropa leben wollen“, sagt er. Im angeblichen Paradies Europa wirkt Kinderarbeit ganz weit weg. Aber auch hier gibt es sie. Nicht nur in Osteuropäischen Staaten, sondern auch in Ländern wie Italien oder Portugal – obwohl die Staaten laut EU-Richtlinien Kinderarbeit verbieten müssen. Noch in den 1990ern arbeiteten in Portugal mehr als 200.000 schulpflichtige Kinder Vollzeit. Hauptsächlich in der Landwirtschaft oder in der Schuh- und Textilindustrie. Die portugiesische Regierung setzte im neuen Millennium Programme ein, um die Kinderarbeit zu beenden, doch während der Wirtschaftskrise 2008 stiegen die Zahlen wieder an. Das Programm gegen Kinderarbeit beendete Portugal 2012 dennoch – es fehlte am Geld.

Und was ist mit der Kinderarbeit in Asien, Afrika oder Südamerika? Finanzielle Programme der EU wie das „Tackling Child Labour through Education“ unterstützen Entwicklungsländer, um dort Kinderarbeit abzuschaffen und bessere Bildungsangebote zu schaffen. Aber was können wir als Individuen tun, abgesehen von Spenden? Wenn ich später für meine Kinder Kuscheltiere kaufe, wie kann ich sichergehen, dass diese nicht von anderen Kindern in prekären Situationen genäht wurden? Und was ist eigentlich mit meinem Blinky? Von wem wurde er genäht?

Woher kommt mein Kuscheltier?

Ich schaue mir das Etikett von meinem Koala an. Er wurde nicht in Bangladesch hergestellt, aber in China. Ich weiß nicht, wie die Produktionsstätten dort aussehen. Es ist schwierig, herauszufinden, ob dort Kinder arbeiten. Ich schaue mir die Internetseite der Hersteller:innen genauer an. „Wild Republic“ sitzt in den USA. Die Kuscheltiere sind aus langlebigem Material und hoher Qualität.

Ihr Sub-Unternehmen kreiert Verkaufssysteme, wodurch Kund:innen bei Ticket- oder Produktkäufen die Möglichkeit haben, zusätzlich zum Kauf noch zu spenden. Außerdem arbeitet Wild Republic mit verschiedenen Wildlife-Organisationen zusammen. Bei den Produktionsprozessen achten die Hersteller:innen sehr auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Die Produkte werden aus recycelten Materialien hergestellt und kein Einweg-Plastik benutzt. Das klingt alles erst einmal gut.

Aber die Spielzeuge und Plüschtiere werden zunächst in Fabriken in China oder Indien hergestellt. Dann werden die Produkte von ihren verschiedenen Standorten an Zoos, Aquarien und Museen weltweit geliefert. Ganz schön viele Kilometer, die einzelne Kuscheltiere dann von der Produktionsstätte bis zu einem Shop zurücklegen.

Das gilt auch für Blinky. Von China bis nach Australien. Und danach ging es für Blinky auch noch von Australien weiter nach Deutschland. Eine richtige Weltreise, genau wie die des kleinen Löwen. Aber Blinkys lange Reise war im Grunde nur für mich. Für kein anderes Kind – außer vielleicht später einmal für mein eigenes Kind. Wie nachhaltig ist das Kuscheltier dann noch?

Was können wir gegen Kinderarbeit tun?

Und vor allem weiß ich immer noch nicht, unter welchen Umständen Blinky produziert wurde. Alles, was ich herausfinden kann, sind die ethischen Grundsätze von Wild Republic. Sie schließen Diskriminierungen jeglicher Art aus und verweisen auf das Arbeitsschutzgesetz. In Indien besitzen sie vier Fabriken und haben Betriebsvereinbarungen mit Produktionsstätten in China. Ob dort Kinder Kuscheltiere nähen, kann ich nicht wissen. Die ökologischen und ethischen Werte immerhin stimmen mich positiv – dass es vertretbar ist, dass ich meinen Koala Blinky besitze. Aber die Frage, ob Wild Republic wirklich auf humane Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten achtet oder die Worte nur auf gute Außenwirkung abzielen, schwirrt mir weiterhin im Kopf herum.

Und was ist mit all den anderen Produkten, die von Kindern angefertigt werden, wie der Löwe mit dem schiefen Auge? Was können wir gegen Kinderarbeit tun? Die offensichtlichen Lösungen kennen wir alle: Arbeitsbedingungen recherchieren, bevor man Produkte kauft. Bewusster und weniger kaufen. Aber so einfach ist die Lösung nicht: Wenn die Kinder nichts zu produzieren haben, dann verdienen sie kein Geld. Wie sollen sie dann Schulgebühren bezahlen und ihre Familien unterstützen? Und wie kann ich den Kindern helfen, ohne dass sie ausgebeutet und Gefahren ausgesetzt werden?

Blinky und ich hoffen weiter

Diese Fragen beschäftigen mich weiter, während ich „Löwenherzen“ lese. Ein Stück, das Kindern die Problematik und die Ungerechtigkeiten in der Welt erklärt. Das in den jungen Köpfen vielleicht schon Denkanstöße setzt, über Solidarität, darüber, was wir wirklich brauchen. Denkanstöße, die auch Erwachsene bitter nötig haben. Denkanstöße, um Kinderarbeit irgendwann komplett abzuschaffen und allen Kindern auf der Welt Schulbildung zu ermöglichen. Um vielleicht die Welt zu verändern.

Mit diesem Wunschdenken sitzen Blinky und ich nun vor dem Laptop und recherchieren, welcher Organisation wir am besten etwas Geld spenden können. Das ist fast genauso schwierig wie die Arbeitsbedingungen von Kuscheltier-Hersteller:innen herauszufinden. Ich möchte sicher sein, dass das Geld wirklich an der richtigen Stelle ankommt. In den letzten Jahren habe ich an Non-Profit Organisationen für Projekte in Afrika gespendet. Jetzt ist mein Ziel Bangladesch. Das meiste über Kinderarbeit habe ich bei Unicef gelesen - und dort kann ich auch für Kinder in Bangladesch spenden. Blinky und ich hoffen, dass wir damit jemandem wie Anand helfen.