Das Knistern der Gedanken


Diskurs

Vorurteile eingebrannt.

In den Kopf meiner Eltern

bis hin in meine Gedanken.

Ich lese und lese,

um aufzuholen,

was ich nicht verstehe.

 

Und ich schreibe

und verbrenne Zeilen.

Meine eigenen.

Schlechte Versuche

in Worte zu fassen,

was ich nicht verstehe.

Ich, die niemals

Bücher brennen sehen wollte.

 

Mein Vater ist enttäuscht,

weil ich die Jahreszahlen

nicht kenne.

Ich weiß nicht,

wann was ist,

was wann war.

 

Die Jahreszahlen

verschwimmen.

Ich kann nichts einordnen.

Nicht zuhören.

Nicht klar sagen,

das ist dann

und da passiert.

Ich kann nicht mal

das Jahrhundert

bestimmen.

 

Ich blicke hoch

in das Gesicht,

das so viel zu erzählen hat.

Von früher

und von heute,

von den Zusammenhängen.

 

Der so viel gemacht hat.

Auf den Straßen war

für das Klima

und gegen die Ungerechtigkeit

und den Faschismus.

 

Der noch heute Gedenken organisiert.

Gedenkt.

Und mit Gedanken

in der Vergangenheit ruht.

Unruht.

Was heute so passiert,

ist ein bisschen fremd

und er will sich nicht verschließen,

aber.

 

Jetzt schüttet er sich zu

mit Worten von damals.

Rennt der Aufarbeitung hinterher

und stößt dabei

Papierstapel um

aber keine Gedanken

mehr an.

Vergangenheit in Kisten

konserviert. Kisten,

die den Weg versperren.

 

Die eine Generation

blickt die andere an.

Versucht ihre Gedanken zu lesen

und ihnen den Zutritt in die eigenen

zu verwehren.

 

Das war doch damals.

Das ist doch naiv zu glauben.

Spätestens jetzt muss man

intersektional denken.

Und wozu all diese Begriffe?

Es wird doch nicht besser,

nur weil man es benennt.

Man muss doch

die Betroffenen sprechen lassen.

Hör doch einfach mal zu!

Natürlich ist es wichtig

zuzuhören. Den Betroffenen.

Aber ich muss doch auch

meine Meinung dazu sagen dürfen.

 

All das hatten wir schon.

All das schweigt jetzt beim Essen.

Nur das Knistern der Gedanken,

Rauch des Unausgesprochenen

zischt aus den Mundwinkeln.

 

Von Marlen Stuka