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Zügiges Klischeedenken


Kolumne

Neben mir sitzt ein Student, zumindest deuten seine Brille, sein schwarzer Rucksack und sein Collegeblock voller Zahlen, den er kritisch studiert, darauf hin. Er will bestimmt nach Bochum, an die RUB, vielleicht studiert er Mathe oder Physik oder irgendeine Ingenieurswissenschaft. Die junge Frau gegenüber von mir ist dagegen auf jeden Fall in einem anderen Feld tätig. In schickem Blüschen und stylischem, senfgelben Blazer arbeitet sie eher bei einer Kommunikationsfirma, steigt wahrscheinlich in Essen aus. Es ist bestimmt ihr erster Job, sie ist dort noch recht neu, deswegen sind ihre Haare noch so sorgfältig akkurat frisiert und ihr Lidstrich sitzt makellos gerade an ihre Wimpern geschmiegt. 

Während ich versuche, mich auf den Stücktext in meiner Hand zu konzentrieren, frage ich mich, ob ich in diesem Klischeedenken wohl einige der Figuren aus den Mülheimer Stücken erkennen würde, wenn sie mir in der Bahn gegenübersäßen. Ob ich Ronald Rupp, wenn ich auch sicherlich nicht seine psychischen Probleme bemerken, aber zumindest als gestressten Lehrer identifizieren könnte, Thomas Hoffmann seine rechtskonservative Politikerart oder Fräulein Agnes ihren Zynismus ansähe. Auf der Bühne sind die Menschen ja zumeist ebenso klischeehaft, assoziationsbasiert gekleidet, dass man sie leicht in gewisse Kategorien einordnen kann. Auch wenn diese natürlich oft genug danach auch gebrochen werden und ein Blick hinter das Klischee gewährt. In den meisten guten Stücken zumindest, Ausnahmen bestätigen ja immer die Regel. 

Die Kommunikationsexpertin in gelbem Blazer steigt in Wattenscheid aus, der Mathestudent in Essen. Die Ausnahme hat in diesem Fall die Regel abgelöst und ich bin froh, dass ich Ronald, Thomas und Agnes nicht in der Bahn, sondern auf Papier und der Theaterbühne treffe.