Mit Freiheit und Verantwortung


Gespräch

Lebhaft ist die Stimmung vor dem Publikumsgespräch, das auf- und abschwillende Tönen sich überlagernder angeregter Unterhaltungen füllt den Saal: Die dreieinhalb Stunden höchst vielfältige und auch fordernde „Wut“ der Münchner Kammerspiele, die das anwesende Publikum gerade hinter sich hat, haben offensichtlich weniger erschöpft als vielmehr munter gemacht.

Nach dem riesigen Diskurs-Wirrwarr des Stücks folgt nun zunächst ein längeres Zwiegespräch zwischen Moderator Michael Laages und Regisseur Nicolas Stemann. Dieses dreht sich anfangs um die abwesende Hauptakteurin des Abends, Elfriede Jelinek (Kommt Elfriede Jelinek zum Publikumsgespräch? – Die Frage muss leider verneint werden.) Das Publikum erfährt von Stemann, der mit „Wut“ zum wiederholten Male einen Jelinek-Text zur Uraufführung gebracht hat, wie er sich mit der Stück-Autorin austauscht (per Mail), bis um welche Zeit man von der verlässlichen Mail-Schreiberin eine Antwort erwarten könne (bis 20 Uhr) und wie sich die Zusammenarbeit der beiden während der Proben gestaltet habe. Jelinek habe ihm da völligen Freiraum gelassen. „Sie schreibt unabhängig von mir und ich inszeniere unabhängig von ihr“, so Stemann.

Jazz oder Punk?

Die Unterhaltung über Jelinek wird kurz unterbrochen von Nachzüglerin Jelena Kuljić, die Laages gesondert begrüßt und dabei ihre neben der Schauspielerei betriebenen musikalischen Projekte würdigend hervorhebt. Nach kurzem Exkurs, ob ihre Musik nun als Jazz oder Punk zu bezeichnen sei (Laages: „Ich nenne es jetzt einfach mal Jazz.“), kommt das Gespräch wieder zurück zu Jelinek und zur Inszenierung.

„Koautorschaft“ – dieser Begriff fällt im Verlauf des Abend diverse Male. Regisseur Stemann sieht sich selbst bzw. das Theater als solches in der Rolle des Koautors: „Elfriede Jelinek liefert den Text, wir machen daraus eine Szene.“ Es sei eine Rolle, die gleichermaßen mit Freiheit und Verantwortung gegenüber dem Text verbunden sei. Dramaturg Benjamin von Blomberg pflichtet dem bei und ergänzt, dass ein guter Theatertext geradezu den Dialog mit dem Theater und letztlich auch mit dem Zuschauer erzwinge. Eine Perspektive, die auch Ensemblemitglied Julia Riedler teilt. Ob sich die Schauspieler der Inszenierung denn nicht eher zum Werkzeug Jelineks degradiert sähen, möchte jemand aus dem Publikum wissen. Stemann springt hier einordnend mit dem Jelinek-Zitat vom Schauspieler als Durchlauferhitzer für ihre Texte bei. „Werkzeug, das ist so ein langweiliges Vokabular“, antwortet Riedler und möchte im Sinne Stemanns und von Blombergs explizit auch die Schauspieler als Koautoren verstanden wissen.

Ängste und Sorgen während der Proben

Ebenfalls ein großes Thema während des Gesprächs sind die gesellschaftlichen Zustände und Veränderungen, die den Text durchziehen und von der Inszenierung mitunter tagesaktuell aufgegriffen werden. Stemann spricht über die islamistischen Anschläge in Frankreich und die Nachwirkungen der Finanzkrise. Im Kontext eines zunehmenden Rechtspopulismus äußert Riedler Frust angesichts einer oft „wie ein Gefängnis“ geschlossenen Perspektive vieler Mitteleuropäer. Und Riedlers Schauspielkollege Thomas Hauser erzählt davon, wie sich während der Proben in diesen nervösen Zeiten gelegentlich Sorgen und Bedenken hochgeschaukelt hätten. Ob und wie man den Propheten Mohammed auf der Bühne darstellen solle, sei zum Beispiel ein Frage gewesen. Interessant auch Stemanns Beobachtung einer vermeintlich wiedererwachenden Kunstfeindschaft. Diese habe sich zuletzt besonders deutlich bei einem Zwischenfall in Köln gezeigt, bei dem Pianist Mahan Esfahani seine Darbietung von Steve Reichs „Piano Phase“ abbrechen musste. Die destruktive Form dieser Kritik gleiche dabei in gewisser Weise den Anfeindungen, denen sich gegenwärtig die Münchner Kammerspiele unter der Intendanz von Matthias Lilienthal ausgesetzt sähen, so Stemann.

Text ist Musik

Das Gespräch, das zweistimmig begann und erst spät in eine Vielstimmigkeit übergeht – und das obwohl sowohl Bühne als auch Saal gut gefüllt ist – findet seine Rahmung im Thema Musik. Musiker Sebastian Vogel erläutert auf Nachfrage aus dem Publikum die dem Text innewohnende Musikalität und dessen Rhythmus. Man merke, dass Jelinek Musikerin sei. Der ganze Text sei schon mal Musik, so Vogel, und liefere so bereits eine Fülle von Steilvorlagen, ihn in der Inszenierung mit Musik im engeren Sinne anzureichern.

Damit beschließt Laages die heutige Diskussion und gibt die Erlaubnis, nach diesem langen Abend schlafen zu gehen. Ein Gute-Nacht-Lied gibt es allerdings nicht.