16. Mai 2016 •
Sonntag, 15.5. Bewölkt. Hier und da ein paar Regenschauer. Vor der Stadthalle ist es still geworden. Die Türen mit den blassgoldenen Griffen sind zugesperrt. Dahinter: Der kalte Marmor hört heute keine Schritte, niemanden, der Smalltalk führt, niemanden, der diskutiert. Hier atmet nichts. Vielleicht hat jemand vergessen, den Fernseher zwischen den schwarzen Stückeaufstellern auszuschalten. Und so wabern jetzt einsame Stimmen von Schauspielern und Autoren durchs Foyer. Nur der Marmor hört sie. Auch das Geräusch abgerissener Karten bleibt aus, kein Theaterpersonal an den Treppenaufgängen und Saaltüren. Kein Echo im Treppenhaus. Auch die Türen zum Theatersaal sind zugezogen.
Dort drinnen findet eine Aufführung statt, die kein Mensch je erleben konnte: Der leere Bühnenraum blickt den Zuschauerraum an, sieht ihn in seiner ganzen Leere. Der wiederum blickt zurück und sieht den Bühnenraum an, sieht ihn in seiner ganzen Leere. Sie sehen einander, wie sie wirklich sind. Heute sind sie sich einig: Sie schweigen. Das einvernehmliche Schweigen zweier Verliebter, das nur sie beide zu deuten wissen. Das einvernehmliche Schweigen zweier Feinde, das nur sie beide zu spüren in der Lage sind. Gemeinsam schweigen. Auch das ist Theater.