Stücke 2014
Ob die Mount-Everest-Besteigung im Kosmonauten-Anzug, das Herbeitanzen neuguinesischer Stammesrituale oder die Biomöhrenernte vorm eigenen Öko-Haus: Mit den Trendangeboten des Selbstverwirklichungsbusiness’ kennt sich Rebekka Kricheldorfs Personal bestens aus. Damit allerdings, dass sich die gute alte Ego-Befreiung zusehends zum Selbstoptimierungsterror mausert, der dem Zeitgenossen sein Glück bis ins ideale „Ficktempo” oder das lebensverlängerndste Meeresalgen-Frühstück hinein aufzwingen will, kommen nicht alle Figuren so gut klar wie die Altachtundsechziger Sigrun und Günter. Schon ihr Sohn Janne – entsprechend erfolgloser Vertreter der Generation Ich-AG – verweigert sich in alarmierender Verstocktheit der basalen elterlichen Kommunikationsregel, die da lautet: „Schweigen ist die Mutter der Neurose; das Nichtbenannte ist das Saatgut der Gewalt.” Und Jannes Tochter River – als stumme Repräsentantin der dritten Generation ein dickes Kind in himmelschreiendem Rosa – geht sogar noch weiter und entzieht sich neben dem Mitteilungs- auch jedwedem Attraktivitäts- oder anderweitigen Leistungsdiktat. Mit Verve bedient sich Rebekka Kricheldorf im reichen Stereotypen-Baukasten der omnipräsenten Ich-Optimierer: Kein Klischee, das sie nicht pointiert auf die Spitze triebe und hochnotkomisch gegen sich selbst wendete. Denn als Kricheldorfs Egomanen Besuch von einem veritablen Selbstentfremdungsfan bekommen, dem es augenscheinlich fantastisch geht in seinem Außersichsein, finden sie sich nicht nur in argen Erklärungsnöten wieder, sondern in der schönsten Eskalations- und (Ego-)Dekonstruktions-Dramaturgie.
Christine Wahl
Mit: Judith Hofmann, Nermina Jovanovic / Zoë Seelig, Franziska Machens, Harald Baumgartner, Jannek Petri, Thomas Schumacher
Regie: Daniela Löffner
Bühne: Claudia Kalinski
Kostüme: Sabine Thoss
Dramaturgie: Ulrich Beck
Licht: Marco Scherle
Rebekka Kricheldorf über Alltag & Ekstase: „Der Autor hat das Recht, hinter seinem Text zu verschwinden”
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