+++ Die 50. Mülheimer Theatertage finden vom 10. – 31. Mai 2025 statt. +++

"Der Held und Herr Löhle" von Ingoh Brux


Laudatio auf Philipp Löhle

Am Anfang war nicht das Wort. Am Anfang war der Wutanfall. Ein so gigantischer Wutanfall, dass Gospodin, der Held in Philipp Löhles gleichnamigen Stück, sich nicht mehr beruhigen konnte.

Greenpeace hatte Gospodin sein Lama weggenommen. Ein Lama in unseren Breiten gehört in den Zoo, sagen die Umweltschützer. Alles andere sei Tierquälerei. Das Lama aber war Gospodins Lebensgrundlage. „Eine Einnahmequelle,“ wie er sagt, „ die ihn außerhalb jeder Arbeitsmühle angenehm antikapitalistisch überleben läßt.“ Mit dem Lama durch die Stadt zu ziehen, war für Gospodin nicht Bettelei, sondern eine Demonstration „um den Leuten die Augen zu öffnen. Ich habe ihnen sagen wollen: seht her, früher hatte der Mensch nichts mehr als ein Tier, und das hat gereicht.“

Natürlich hat das niemand als politisches Statement verstanden. Auch Anette nicht, Gospodins Freundin, die sich fragt, warum er nicht  Arbeitslosengeld beantragt und wozu diese präpotente Pose, sie nennt es: "den Kapitalismus bei den Eiern packen“, denn gut sei.

Gospodin will einfach nicht mitmachen. Er will nicht so werden wie all die anderen angepassten Spießer:
Denn Anette ist Spießer. Greenpeace sind Spießer.
Die Freunde sind Spießer. Überhaupt sind alle Spießer außer natürlich Mutter.
Und nachdem er alle vor den Kopf gestoßen hat und er endlich allein ist und nur noch das Stroh seines Lamas  besitzt, schreibt er für sich selbst und für alle, die es wissen wollen, sein DOGMA an die Küchenwand:

1.    Ein Weggang ist auszuschließen! D. h. Auswandern zählt nicht.
2.    Geld darf nicht nötig sein! - sondern nur Tauschwirtschaft.
3.    Jedweder Besitz ist abzulehnen!
4.    Freiheit ist, keine Entscheidung treffen zu müssen!

Von den Schwierigkeiten mit diesem DOGMA in unserer Gesellschaft zu leben, davon erzählt Philipp Löhle in aberwitzigsten Szenen.

Gospodin landet schließlich im Gefängnis. Paradoxerweise fühlt er sich jetzt zum ersten Mal wirklich frei.
In dem Moment, in dem die Welt um ihn herum verschwindet, kann er endlich nach seinem DOGMA leben. Und um es Anette zu erklären, erzählt er die Parabel vom Fisch und dem Vogel, die nicht zusammenkommen können. Er ist wie ein Fisch, der im Wasser lebt und die anderen sind wie Vögel in der Luft.

Gospodin ist ein typischer Löhle-Held, jemand der, wie er selbst sagt: "eine antikapitalistische Lebensweise in einem kapitalistischen Staat sucht,“ der sich verweigert, weil er Angst davor hat sich zu verlieren. Oder, um es mit dem Sören Kirkegaard-Zitat zu sagen, das dem Stück als Motto voran gestellt ist: "Es kommt darauf an, dass einer es wagt, ganz er selbst, ein einziger Mensch, dieser bestimmte einzelne Mensch zu sein."

Gospodins sogenannte Freiheit ist natürlich nicht unsere Freiheit. Der Witz ist: um überhaupt frei zu sein, braucht man andere Menschen. Dietmar Dath erzählt die Parabel vom Fisch und dem Vogel als ein Rätsel über die Liebe: „Der Fisch verliebt sich in den Vogel, aber wo sollen sie ihr Haus bauen? Natürlich am Ufer.“

In dem Stück „Lily Link oder schwere Zeiten für die Rev…“ liebt Lily Amoz. Sie kennen sich seit ihrer Studentenzeit. Jetzt will Amoz aber nach Amerika und sich von Lily und seiner Vergangenheit befreien.
Früher haben sie aus Spaß und Langeweile zusammen lustige Aktionen gemacht. Sie nannten sich „Die 5 Sinne“. Mit ihren Aktionen wollten sie die Menschen sensibilisieren. Aber irgendwann wurde es ernst und aus den Späßen wurde ein terroristischer Anschlag, bei dem Lilys Bruder festgenommen wurde. Dann löste sich die Gruppe auf und die Freunde verabschiedeten sich in ihre bürgerlichen Existenzen. Nur Lily hielt an dem „Versprechen“ fest, dass sie sich früher gegeben hatten: Nämlich zusammenhalten, um die Welt gemeinsam zu verändern. Nicht die Symptome zu bekämpfen, sondern die Ursachen, das ist Lilys Parole.

Man kann Lily, diese Radikale, als Komplementärfigur zu Gospodin deuten. Gospodin verweigert sich der Gesellschaft und endet in der Regression. Lily bekämpft die Gesellschaft und wird Terroristin.

Es gibt in den Stücken von Philipp Löhle oft den Moment, in dem der Zuschauer sich von dem Protagonisten distanziert und das Geschehen wie eine Denkfigur, quasi als Versuchsanordnung betrachtet.
Das passiert, wenn der Protagonist sich seines Scheiterns bewusst wird und trotzdem (oder sollte man sagen: jetzt erst recht?!) mit aller Konsequenz weitermacht.
Konsequenz ist auch so eine Haltung, die Philipp Löhles Figuren charakterisiert. "Ich möchte, dass du immer konsequent bist. Auch wenn es dir selber zum Nachteil ist, sei konsequent," lehrt der arbeitslose Vater seinen halbwüchsigen Sohn in dem Stück "Der Wind macht das Fähnchen."

Der typische Löhle Held ist ein Einzel-Kämpfer, der es mit seinem Eigensinn, mit der ganzen Welt aufnimmt – eine Mischung aus Bartleby, Michael Kohlhaas, Don Quichotte und Bart Simpson. Ihm beim Scheitern zuzuschauen, macht Spaß und ist gleichzeitig beängstigend. Wir erkennen uns wieder in diesen Kämpfen und Überlebensstrategien, in den Widersprüchen und Wutanfällen.
Sind das tragische Helden? Schreibt Philipp Löhle Komödien oder Tragikomödien? Ich denke, die Frage muß jede Inszenierung selbst beantworten. Die Stücke halten sehr unterschiedliche Lesarten aus.

Gibt es so etwas wie einen Löhle-Stil? Wenn ja, ist das dieses Nebeneinander von wunderbaren Prosapassagen, Szenen, in denen die Pointen blitzen, flapsigem Alltagsjargon und trockenem Wortwitz? Der Autor liebt das Understatement und die Verwirrung. In den Stücken gibt es immer Motive, die keinen offensichtlichen Sinn haben. Es sei denn einen Eigen-Sinn. Philipp Löhle legt gerne falsche Fährten. Sein letztes Stück zum Beispiel hat den Untertitel Familienstück und die Widmung: Für meine Schwester.

Ich glaube nicht, dass Philipp Löhle eine Schwester hat. Steckt dahinter ein System? Vielleicht läßt sich mit der Methode der „indirekten Mitteilung“ von Sören Kirkegaard am besten beschreiben, wie die Stücke funktionieren? Der dänische Philosoph war der Meinung, dass die Wahrheit nicht direkt gesagt werden kann. Salopp gesprochen: man muß um die Ecke denken, man muß den Adressaten mit Ironie, Wortwitz, Stilbrüchen und scheinbar widersprüchlichen Argumentationen "befreien", damit er die Wahrheit aus sich selbst heraus erkennt und somit zum Handeln verleitet wird.

In dem Stück "supernova (wie gold entsteht)" begegnet man wieder einem Löhle-Helden. Friedrich, ist studierter Geologe und Dauerpraktikant. Als ihm nach dem 12. Praktikum die Kündigung droht, verabschiedet er sich von seinem Arbeitgeber mit „sorry, das musste mal raus“ und pinkelt seinem Chef auf den Schreibtisch.  Friedrich, dieser Vertreter der Generation Praktikum, möchte nur einen Platz in der Gesellschaft. Er sehnt sich nach einer Festanstellung mit Urlaubsanspruch, nach Frau und Kind, nach einer geregelten, bürgerlichen Existenz. Und deshalb erfindet er ein milliardenschweres Goldvorkommen im Nordschwarzwald und versetzt eine ganze Region in den Goldrausch.

Der in die Jahre gekommene Löhle-Held möchte kein Außenseiter mehr sein. Seinen Versuch, den Kapitalismus bei den Eiern zu packen, ihn mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, in dem er eine Wirklichkeit erfindet, die es gar nicht gibt, bezahlt er mit dem Leben.

In seinem aktuellen Stück "Das Ding" beschreibt Philipp Löhle die Welt als ein globales Dorf. Durch einen universalen Kreislauf von Waren-, Geld- und Datenströme sind hier alle irgendwie miteinander verbunden. Der arme Bauer in Afrika, der Baumwolle anbaut. Die Chinesischen Geschäftsleute, die daraus T-Shirts machen. Der junge Deutsche Fotograf, der das T-Shirt trägt und die junge Frau, die es in die Altkleidersammlung gibt, damit es zurück nach Afrika kommt. Der Löhle-Held ist aus dieser Welt verschwunden. Oder hat er sich nur verwandelt? Ist es nicht merkwürdig, dass wir mit dem Ding, dieser Baumwollflocke, die sprechen kann, mit der wir einmal um die Welt reisen und aus deren Augen wir auf die Welt blicken, mehr Empathie haben, als mit den Menschen in diesem Stück?!

Bei der Entstehung von "supernova" habe ich Philipp Löhle kennengelernt. Mit ihm zu arbeiten ist eine Freude. Wir haben zusammen mit der Regisseurin eine frühe Fassung des Textes gelesen und dabei Szene für Szene besprochen. Daraufhin schickte Philipp eine neue Fassung, die wieder diskutiert wurde, es folgte eine noch neuere Fassung usw. Philipp sucht die Auseinandersetzung. Er will herausgefordert werden.

Wir haben ihm auch für die neue Spielzeit einen Stückauftrag gegeben. Die Herausforderung für uns bestand darin von ihm einen Titel und ein paar Zeilen über den Inhalt des Stücks für unser Vorschauheft zu bekommen. Heldenhaft und ganz konsequent hat der Autor das verweigert: „Es sei ja noch so lange hin. Und er wüßte noch gar nicht worüber er schreiben wolle..."

Wir haben dann in unserem Vorschauheft geschrieben, dass es ein "schönes, neues Stück von unserem ehemaligen Hausautor Philipp Löhle" geben wird.

Philipp, ich hoffe, du schreibst noch viele schöne Stücke.
Wir spielen dich gerne.
Auch wenn das Publikum dich mag.
Und auch wenn Du Preise gewinnst.

Herzlichen Glückwunsch!