Meuterei im Kinderzimmer
Wer bin ich, und wer will ich sein? Das Dilemma von Spielzeugfiguren ist, dass ihnen bestimmte Rollen zugewiesen werden, die sie zu erfüllen haben. Aber wenn es Nacht wird, erwachen die Figuren in Rauol Biltgens Stück zum Eigenleben. Niemand sagt ihnen mehr, wer sie sein sollen. Endlich scheinen sie über sich selbst bestimmen zu können. Aber offensichtlich fehlt ihnen noch der Mut, die von ihnen ersehnten Rollen selbstverständlich und ohne Bedenken anzunehmen. Da ist Bobby, der Kuschelbär, der wenig selbstkritisch zur Selbstüberschätzung neigt. Er sieht sich gerne als Superheld und fühlt sich eher dazu berufen, Probleme zu lösen, als zu kuscheln und zu trösten. Da kommt Phil, eine Actionfigur, gerade recht. Er ist verzweifelt, weil er seine Singstimme verloren hat. Und er trägt lieber Kleider, um seine Muskelpakete zu verstecken. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Phils Stimme.
Die Rettung scheint nah, als sie auf Hildegard, die Wünsch-dir-was-Fee, treffen. Doch dummerweise sind deren Akkus aufgebraucht. Und große Lust, immerzu die Wünsche anderer zu erfüllen, hat sie sowieso nicht. Vielleicht kann ja die namenlose, eingestaubte Spieldosenballerina helfen? Sie ist zwar äußerst wortkarg, denn sie fühlt sich oft unverstanden und dazu ziemlich nutzlos. Aber sie ist klug. Schließlich ist sie es, die Phil hilft, seine Stimme wiederzufinden, indem sie ihn darin bestärkt, das zu sein, was er wirklich sein will, nämlich eine Sängerin. Dem Bär gibt sie zu verstehen, dass er an sich selbst glauben und sich nicht von Fremdzuschreibungen verunsichern lassen soll. Und der unglücklichen Wünsch-dir-was-Fee rät sie, sich von den Erwartungen anderer frei zu machen und ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu sehen und zu erfüllen. Wohin aber ihr eigener Weg führt, weiß sie noch nicht. Nur Spieldosenballerina, das will sie nicht mehr sein. Biltgen hat ein wunderbares, verspieltes Stück über Selbstbestimmung ge- schrieben. Mit humorvollen Dialogen und viel Wortspielerei schickt er seine liebenswert schrägen Figuren auf die Suche nach ihrem wahren Ich.
Werner Mink