Zwiebeltransit
Nanina ist zum ersten Mal mit einem Flugzeug geflogen, sogar in ein anderes Land, mit ihrem Papa zur Oma, die so gut nach Zimt, Fleisch, Koriander und warmer Milch riecht. Dafür hat sie einen eigenen Reisepass bekommen. Aber kann man mit einem Pass schon fliegen? Und was sind Grenzen, die man nicht sieht? Wo sind die? Das führt Nanina auch zu der Frage, welche Lebewesen von selbst fliegen können, auch wenn sie keinen Pass haben, sondern nur Federn. Im Flughafen hat sie auch Dodo kennengelernt, die offenbar immer dort bleiben muss oder will – im Transit zwischen Grenzen, also in einer Transitzone. Dodo bezeichnet sich als Kosmopolitin, überall zuhause. Aber Nanina versteht, Dodo sei „Kosmospilotin“, die überall hinfliegt. Dodo ist natürlich auch der Name eines flugunfähigen, heute ausgestorbenen Vogels. Daher kann Dodo auch die märchenhafte Geschichte von anderen Vögeln erzählen, wie diese einst ihre Flugfähigkeit erwarben. Das ist alles so aufregend, dass Nanina hinterher im Klassenzimmer unbedingt davon erzählen muss. In der Inszenierung von Carola Unser am Hessischen Landestheater Marburg sogar so, dass nicht nur alle zuhören, sondern beim Fliegen auch mitmachen können. Anah Filou lotet in ihrem Debüt-Stück für Kinder die aufregende Ersterfahrung des Fliegens mit dem Vergnügen an Sprachspielen und dem Nachdenken über Grenzen aus: zwischen Zuhause und der Welt, vom eigenen Land hin zum Kosmopolitischen – mit der Sprache als „Kosmospilot“. Anspruchsvoll, abenteuerlich und federleicht zugleich – wie das Fliegen selbst. Die Autorin vergleicht in einer Anmerkung den Text mit einer Zwiebel, die bekanntlich aus vielen Schichten besteht, die man nach und nach abschält. Darum geht es in der Art und Weise, wie Nanina in kleinen Geschichten ihren Mitschüler:innen beziehungsweise dem Publikum von ihrer Erfahrung vom Fliegen in ein anderes Land erzählt.
Thomas Irmer