Auf der Kreisbahn
„Alles ist verbrannt. Alles Asche. Das habe ich schon vorausgesehen.“ Hat sie tatsächlich. Wer die Bilder der brennenden Vororte von Los Angeles gesehen hat, mit verstörten, im Staub wühlenden Bewohnern, der muss Elfriede Jelinek leider rechtgeben. Sie hat das explosive Zusammenspiel der Elemente von „Feuer, Wasser, Erde und Luft“ überraschend präzis beschrieben. Wobei es am Wasser in diesem Fall leider eher gefehlt hat.
Die Münchner Uraufführung von Falk Richter im September 2024 hatte vieles von Jelineks dichtem Text unter Monologkaskaden begraben, Jette Steckels Nachinszenierung im Hamburger Thalia an der Gaußstraße holt es wieder hervor. Sie entwirrt die Verwirbelung von persönlicher Erinnerung an den verstorbenen Lebensgefährten, von Motiven der Einsamkeit, des Alters, des Verfalls mit Klimakatastrophe und Planetenelend, ohne die wechselseitigen Bezüge zu kappen. Eingeflochten immer wieder bissige Verweise auf Schöpfungsmythen wie Platons „Timaios“ und Hesiods „Theogonie“ und die Fragen, wer zuerst da war – Erde, Götter oder Mensch? – und mit welchem Recht ausgerechnet letzterer sich aufschwingt und alles kaputt macht.
Florian Lösche hat eine satte grüne Gras-Drehbühne in die Raummitte gestellt, von allen vier Seiten mit Zuschauerreihen umgeben – Mutter Erde, letzte Ruhestätte und Zentralsymbol in einem. Gleich zu Beginn platzieren die vier Schauspieler*innen ein lose zusammengebundenes Holzkreuz in der Mitte, Auftakt zu Formationen des Gehens, Liegens, Schreitens, der momentweisen Vereinzelung und Neugruppierung, während sie den Text dialogisch aufblättern als Stimmengewirr und abgerissene Gedankenfäden, die dennoch immer sinnfällig aneinander anschließen. Es wechseln Kleinansprachen mit Trauermärschen, widerspenstigen Trotzgängen, (Tot)Lachanfällen und Kreiswanderschaften, jede*r in ihrem bzw. seinem Ton: die hohe, sanft klagende Stimme von Jirka Zett, der gehetzte, schrille Björn Meyer, die nüchtern-kräftige Franziska Hartmann und die alterszäh tragende, durchdringend klare Barbara Nüsse.
Solchen sentimentalischen Anwandlungen hält allerdings der achtköpfige Kinderzirkus Zartinka seine geballte Artist*innenkraft entgegen: jugendliche Bewegungsvirtuosen, die nicht nur einen erfreulichen Kontrast zum Endlichkeitsgerede der vier Schauspieler*innen bieten, sondern auch schlagende Beispiele sind für menschliche Geschäftigkeitsabsurditäten und sonstigen humanen Möglichkeits- bis Größenwahn. In dieser Kombination findet sich Jelineks Text plötzlich in einem Kontext morbider Sinnlosigkeit unserer irdischen Beschäftigungswut, die schließlich Barbara Nüsse ziemlich trocken auf den Punkt bringt, wenn sie von der „endlosen Kreisbahn“ spricht, auf der sich der Mensch andauernd nicht nur selbst erzeugt, sondern bedauerlicherweise auch noch göttergleich aufschwingt. – Was unserem Planeten in seinem lädierten Zustand leider auf Dauer den Garaus macht. Nicht nur ihm: „Es bleibt uns von uns nichts übrig.“
Franz Wille