Der Untergang der FDP
Die Münchner Dramatikerin Nora Abdel-Maksoud ist Spezialistin für schnelle, böse, hochkomische Polit-Komödien. In „Jeeps“ (2022 bei den Mülheimer Theatertagen) präsentierte sie einen radikalen Beitrag zur Verteilungsdebatte: Was wäre, wenn das Vermögen von reichen Leuten nicht vererbt, sondern verlost würde? In „Doping“, ihrem zweiten für Mülheim nominierten Stück, packt Abdel-Maksoud Themen wie Neoliberalismus, Pflegenotstand und Klassenmedizin in eine aberwitzige Farce.
Ort der Handlung ist Sylt, wo der aufstrebende FDP-Lokalpolitiker Lütje Wesel im Ortsverband Wenningstedt-Braderup auf Listenplatz 1 kandidiert; besonders die Rettung des Marathonlaufs auf Sylt ist ihm ein Anliegen: „Die Callas braucht den Bariton, der Sylter seinen Marathon!“ Allerdings laboriert der Jungpolitiker an Inkontinenz, nässt sich schon mal während einer Rede ein und fürchtet deshalb um seine Karriere.
Sein Mentor und Parteifreund Ole Hagenfels-Jefsen-Bohn, der mit Handy-Klingeltönen ein Vermögen gemacht hat, bringt ihn zu einem dubiosen Arzt, der sich Dr. Bob nennt und in einem klapprigen U-Boot ordiniert; der Untergang der FDP wurde in „Doping“ also schon vorweggenommen. Dr. Bob, ein alter Seebär mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern, hat bereits vor längerer Zeit seine Approbation verloren, nachdem er „vielleicht mal ne Leber zu viel transplantiert“ hatte. Ein schweres Schicksal hat auch seine Assistentin Gesine: Sie wurde in der Steiff-Fabrik geboren, geriet dort in die Stopfmaschine und ist seither halb Mensch und halb Stofftier. „Den Knopf im Ohr krieg ich nicht mehr raus.“
Wie Lütje hat Oles hochschwangere Tochter Jagoda politische Ambitionen; doch leider hat auch sie ein Handicap: In einer Rede brachte sie als Hilfsmittel für gestresste Mütter einmal allen Ernstes den „Mohnzutzler“ ins Spiel, seitdem hat sie die „Netzfeministinnen“ am Hals. Im weiteren Verlauf der Handlung stellt sich heraus, dass das U-Boot eine geheime Armenklinik für die Sylter Kassenpatienten (Sachen gibt’s!) ist. Am Ende läuft die schwimmende Klinik auf den massiven Schwarzgeldberg auf, den Ole in der Nordsee versteckt hatte. Und Lütje hat einen Moment der Erkenntnis, in dem er auf einmal ganz klar sieht, was die Welt im Innersten zusammenhält. „Versteht ihr nicht, wovon ich rede? Geld! Geld!!“
Die Pointendichte von „Doping“ sucht im deutschsprachigen Theater ihresgleichen. Abdel-Maksoud witzelt aber nicht bloß einfach so dahin, sie kann das alles belegen: Im Anhang finden sich eine umfangreiche Leseliste und 56 Fußnoten, die auf Interviews, Artikel, Fachliteratur („Das unternehmerische Selbst“, „Geschäftsmodell Gesundheit“ u. a.) oder Landtagsreden von Christian Lindner verweisen. Dafür, dass die Pointen alle zünden, sorgte die Autorin übrigens selbst: Bei der Uraufführung an den Münchner Kammerspielen führte sie, wie bei allen ihren Stücken, selbst Regie.
Wolfgang Kralicek