Aufräumen
Wir alle haben diese Ermahnung vielfach gehört (und oft missachtet): „Räum endlich auf!“. Bürgerliche Ordnung erlernt man also schon im Kinderzimmer, sobald die Spielzeuge wieder in Kisten und Regale zurück müssen. Lässt sich über dieses simple Phänomen, das sodann alle Phasen unseres Daseins durchzieht, ein ganzer und noch dazu horizonterweiternder Bühnentext verfassen? Ja, davon zeugt das mit reichlich Musik und umgeworfenen Regalen vom Theater Fallalpha uraufgeführte Werk „Aufräumen. Ein ordentliches Stück Chaos“ von Tina Müller. Immer wieder fangen die Figuren neu an, sinnieren über die Frage, wo der menschliche Drang zum Sortieren und Abheften herrührt. Auch wenn wir alle die ‚cleane‘ Wohnung mögen, hat sich unser Blick, so das Ergebnis der Reflexion, zunehmend verengt.
Statt dem Beharren auf festen Gegebenheiten, unverrückbaren Traditionen und Normen erweist sich nämlich vielmehr eine Dialektik als notwendige Voraussetzung für Fortschritt. Ordnung bedarf des Chaos. Letzteres sagt über sich selbst: „Bedenke, ohne mich kann nichts mehr entstehen! Denn … / Ich bin das Schnelle, Grelle, Helle / Bin Lichtjahre entfernt / und doch ganz nah“. Erst das Durcheinander begünstigt Kreativität, und erst im zweiten Schritt verhilft die Ordnung wiederum dazu, die Erkenntnisse und Einsichten in eine Form zu bringen. Da letztlich der Kosmos aus dem Wechselspiel dieser beiden Kräfte hervorging, lässt Müller ihre Figuren, die noch zu Beginn alle unterschiedliche Begriffe von Ordnung habe, auch eine imaginäre Reise ins All unternehmen. Sonne, Mond und Sterne, drei Paten aus der kindlichen Märchenwelt – sie entfalten auch in diesem Werk ihre volle Macht.
Damit sich mit dem Aufräumen nicht die Geschichte verliert oder vergessen in der Schublade landet, wird das so philosophische wie rauschhafte Stück durch ein Schlüsselmotiv zusammengehalten: den buchstäblichen roten Faden. Selbst in der tiefen Finsternis gibt er noch Halt. Ein bisschen Ordnung darf es demnach zweifelsohne noch geben.
Björn Hayer
X: Das Kind rannte, so schnell es seine kleinen Füße tragen konnten, den roten Faden entlang über die Milchstraße durch das ganze Universum zurück in sein Kinderzimmer.
Z: Und sorgt seitdem dafür, dass weder das Chaos noch die Ordnung jemals die alleinige Herrschaft über sein Zimmer übernimmt.