Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)

Kaleidoskop von Blickwinkeln

1939 auf der St. Lewis nach Amerika zu entkommen, wird in den sibirischen Wäldern mit dem sowjetischen „Nachthexen“-Geschwader zur Widerstands- kämpferin, durchschwimmt das Mittelmeer und geht in „Falastin“, Palästina, wieder an Land. Stets begleitet von einer Schäferhündin und einer toten, aber deshalb noch lange nicht schweigenden Klezmerin. Dieser wilde Action-Plot, der sich um reale Raum-Zeit-Verhältnisse nicht schert, wird alles andere als episch erzählt. Schon auf dem Papier sieht „Wounds Are Forever“ nach einem Theatergetümmel für ein Riesenensemble aus: Eine Vielzahl auch typografisch unterschiedener Stimmen fällt sich gegenseitig ins Wort mit Klageliedern, Einwänden, Diskursschnipseln, Parallelversionen, besserwisserischen und doch notwendigen Sternchenkommentaren, die auf historische Hintergründe und Gegenargumente aufmerksam machen.

Zugleich aber ist dieses „horizontale Storytelling“, wie Ben Yishai es nennt, keine Kakophonie, sondern in der Übersetzung von und mit Maren Kames eine rhythmisch und musikalisch durchkomponierte Sinfonie. „Ich bin nicht der Körper, der die palästinensische Geschichte aufschreiben sollte“, hat Sivan Ben Yishai in einem Interview gesagt, aber auch einen Ausweg gefunden, es dennoch zu tun: „Es ist dann eben nicht die Geschichte Palästinas, sondern die der Protagonistin Sivan, die versucht, die Geschichte Palästinas zu erzählen und dabei mit allen Fehlern umgeht, die sie auf dem Weg macht.“ Genau diese Haltung, die gleichsam von außen auf sich selbst zu schauen vermag, ist vielleicht der einzige Ausweg, der aus einer sich endlos fortsetzenden Gewaltgeschichte hinausführen kann.

In der Mannheimer Uraufführung von Marie Bues, in den Kostümen von Moran Sanderovich, die den Spieler*innen gleichsam die schützende Haut abgezogen hat und ihre Körper als offene Wunden inszeniert, liegt aber auch die Chance, Geschichte(n) zuzuhören, neu zu verstehen und empathisch mit zu durchleben.

Eva Behrendt