Die Geisterbahn des Lebens
Die Nachrichtenlage ist eindeutig: „Deutschland. Es sieht nicht gut aus. Ausland. Es sieht nicht gut aus. Wetter. Es sieht nicht gut aus“, heißt es in Bonn Parks Stück „They Them Okocha“ mit Musik von Ben Roessler. Und weil man dieser Tatsache nur mit luzidem Humor begegnen kann, geht es entsprechend gewitzt zu in diesem Sozialisationsdrama, in dem Noah-Wilhelm und seine Freunde Cem, Jürgen A. und Jürgen D. drei exemplarische Lebensphasen durchschreiten: die inspirationsreiche „Kindheit“, die vergleichsweise aufregende „Pubertät+“, wo die Geisterbahnfahrt zum Sinnbild des kommenden Lebens wird, und den schnöden „Rest“.
Phase eins, die „Kindheit“, wird zu Beginn aus den entlegensten Tiefenschichten regelrecht emporgegraben: Emsig macht sich das Quartett mit Schaufeln am Bühnenboden zu schaffen und fördert ein altes Fernsehgerät zutage, aus dem generationsprägendes Referenzkulturgut erschallt: Neben den Teletubbies hören wir vor allem das „Jahrhunderttor“ der einstigen nigerianischen Eintracht-Frankfurt-Legende Jay-Jay Okocha gegen den Karlsruher SC aus dem Jahr 1993 im Originalkommentar des amtlich ausflippenden Sportreporters Jörg Dahlmann. Und weil sowohl die Regie als auch die Spielenden an diesem Abend kongenial zwischen dem Kind im Mann und dem Mann im Kind changieren und so eine permanente Doppelbelichtung schaffen, entsteht eine künstlerische Zeitdiagnose von hohem Seltenheitswert: das Porträt einer Gesellschaft, die nicht mehr erwachsen wird.
Bonn Park destilliert aus der Coming-of-Age-Thematik einerseits typische Muster heraus, die sich sachkundig im postmodernen Referenzraum bewegen, und schafft es andererseits gleichzeitig, das Sozialisationsdrama auf eine Weise zu erzählen, wie man es noch nie gehört und gesehen hat, weil er die kindliche Naivität der Figuren klug zur künstlerischen Strategie macht. Wenngleich er sein Stückpersonal mit immensem Witz ausstattet, vermeidet er konsequent das Stilmittel der Ironie, das naturgemäß entweder die Figuren oder die Situationen, in denen sie sich befinden (oder beides) aus der Bescheidwisser-Perspektive vereindeutigt und so letztlich bequem wegdenunziert. Bonn Park bleibt hingegen strikt beim buchstäblich vorurteilsfreien Blick, wenn er zeigt, wie sich aus dem Vierertrupp langsam verschiedene Charaktertypen herauskristallisieren, vom Entscheider über den Vermeider bis zum Versöhner und zum Einzelgänger. Oder wie im unschuldigen Kinderspiel plötzlich Momente bockigen Ernstes aufscheinen, die man auch aus der Chefetage kennt – ohne dass diese Assoziation plakativ thematisiert werden müsste.
Übrigens: Der nach „Kindheit“ und „Pubertät+“ einsetzende „Rest“ sieht noch nicht einmal für Noah-Wilhelm gut aus, der am Ende Bundeskanzler wird. Aber wer weiß, vielleicht kommt nach den Ären „Alles ist schlimm“ und „Alles wurde noch schlimmer“, zwischen denen sich das Stückpersonal abendfüllend hin und her geworfen wähnt, ja doch noch die „Ära alles wird besser“.
Christine Wahl