Freundhofweg 25 (früher Hausnr. 5) - Streithof
Bereits vor der Jahrhundertwende hatten einflußreiche Familien aus Industrie und Wirtschaft im Industriebezirk der unteren Ruhr damit begonnen, Waldgrundstücke aufzukaufen, und auch die Städte - Essen, Düsseldorf und Mülheim zogen bald nach und legten einen Stadtwald an. In Mülheim wurde 1903 die „Broich-Speldorfer-Wald- und Gartenstadt Aktiengesellschaft“ gegründet, der auch die Stadt Mülheim mit 86 Morgen beitrat. 1906 folgten weitere Gesellschafter mit größerem Grundbesitz. Die Gründer verfolgten die Absicht, den Wald dadurch zu erhalten, daß jeweils nur eine „Hausparzelle“ per Grundbesitz zur Bebauung freigegeben werden durfte - um den erworbenen Waldbesitz auch bewohnen zu können-, der übrige Besitz jedoch als nicht bebauungsfähig galt. Um gleichzeitig der Bevölkerung die Erholung in freier Natur zu ermöglichen, wurde auf Veranlassung der Stadt Mülheim 1907 ein Wegenetz für den Broich-Speldorfer Wald projektiert. Als erster der Gründer nahm unmittelbar neben dem Besitz der Gesellschaft Emil Kirdorf seinen Wohnsitz, „mitten im Wald auf einem im niedersächsischen Stil neu erbauten Bauernhof“ wie in den „Vaterstädtischen Blättern“ 1907 zu lesen ist - auf seinem 1905/06 erbauten „Streithof“. Die lebhafte Nachfrage nach Grundstücken im Bereich der Wald- und Gartenstadt entsprach zwar vordergründig dem einen Gründungsziel, der „Stadtflucht“ oder „Revierflucht“ von Kaufleuten, Fabrikanten, Beamten, Gewerbetreibenden und Rentnern entgegenzuwirken („Vaterstädtische Blätter“, 1907). Die Idee der Wald- und Gartenstadt und die Sicherung des Waldes ist jedoch als allgemeine Zeitströmung eingebettet in jene schon vor der Jahrhundertwende aufkommende romantisierende bildungsbürgerliche Reformbewegung als Reaktion auf den mit der Reichsgründung 1871 eingeleiteten Wandel vom Agrar- zum Industriestaat. Dieser hatte in kürzester Zeit zu einem bis dahin nie gekannten Ausmaß an Veränderungen in der Natur- und Kulturlandschaft und im Erscheinungsbild der Dörfer und Städte geführt. Die damit verbundene Auflösung des vertrauten Sozialgefüges im ländlichen Raum war mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 noch beschleunigt worden und hatte den „Rechtsort“ Heimat in einen bürgerlichen Gemütswert verwandelt - bedeutsam vor allem für das ästhetische Empfinden des bildungsbürgerlichen (groß)städtischen Wochenendtouristen und Sommerfrischlers. Die Reformbewegung - als konservative Zivilsationskritik gegen Kapitalismus, Massengesellschaft und staatlichen Zentralismus zu verstehen - umfaßte so unterschiedliche Strömungen, wie die Heimatkunstbewegung, der Dürerbund, die sogenannte „Lebensreformbewegung“, die „Ländliche Heimats- und Wohlfahrtspflege“, die Wandervogelbewegung, die Gartenstadtbewertung und schließlich als Sammelbewegung den „Heimatschutz“, der sich 1904 mit dem „Bund Heimatschutz“ einen Reichsverband schuf. Im Unterschied zu den in der Gartenstadtbewegung vielleicht am deutlichsten ausgeprägten reformerischen Bestrebungen, sozialpolitisch zuweilen von emanzipatorischer Qualität, sind die Zielsetzungen der „Broich-Speldorfer Wald- und Gartenstadt Aktiengesellschaft“ und ihrer Gründer als kulturpolitische Initiative zu werten, wie sie der Bund Heimatschutz propagierte. Vor allem Emil Kirdorfs konservative, ja reaktionäre Vorstellungen etwa in der Sozialpolitik - der Unternehmer hat für den Arbeiter zu sorgen, die Arbeiter dem Unternehmer zu gehorchen, der Staat diese Ordnung zu schützen - und seine bekannte Deutschtümelei finden sich bei Ernst Rudorffs, des Urhebers des Heimatschutz-Gedankes, konservativer Kapitalismuskritik trefflich formuliert. Rudorffs sah mit dem Verlust von Eigentum, Naturverbundenheit und heimatlicher Identität eine Systemkrise heraufziehen, der sich konservative Kräfte zu stellen hatten, wollten sie den gesellschaftlichen Status quo erfolgreich verteidigen. Die Lösung des Problems bestand für ihn in der „Zusammenscharung aller Gleichgesinnten“ mit dem ausschließlichen Ziel, deutsches Volkstum ungeschwächt und unverdorben zu erhalten, und was davon unzertrennlich ist, die deutsche Heimat mit ihren Denkmälern und der Poesie ihrer Natur, vor weiterer Verunglimpfung zu schützen. Im Gründungsaufruf des Bundes Heimatschutz sind denn auch und a. die Aufgabenbereiche Denkmalpflege, Pflege der überlieferten ländlichen und bürgerlichen Bauweise, Erhaltung des vorhandenen Bestandes, Schutz der landwirtschaftlichen Natur einschließlich der Ruinen, Volkskunst auf dem Gebiet der beweglichen Gegenstände usw. enthalten. Diese Idee und Vorstellungen haben ihren Niederschlag in einer neuen Heimatkunst und Heimatschutzarchitektur gefunden, wofür der sicher nach den Vorstellungen seines Bauherren errichtete „Streithof“ eines der ersten und besten Beispiele auf Mülheimer Stadtgebiet darstellt. Der Streithof ist eine im Wald gelegene größere Anlage mehrerer Gebäude unterschiedlicher Größe, die sich um einen rechteckigen Innenhof gruppieren. Dieser ist von Norden her durch eine korbbogige, bruchsteingerahmte Tordurchfahrt zugänglich, die von pavillonartigen 2-geschossigen Eckbauten mit Zeltdächern, mit westlich zwischengeschobenem Remisenbau, flankiert wird. Den Eckbauten sind nach Süden 1-geschossige Wirtschaftsgebäude mit hohen, laternenbekrönten Walmdächern und Dachhäusern mit Ladeluken angefügt. Im Süden wird der Hof von einem 2-geschossigen breitgelagerten ersten Hauptgebäude mit Halbwalmdach, giebelständig zum Hof ausgerichtet, begrenzt. An seinen Langseite ist der schmälere Hofraum weitergeführt, an der Ostseite mit einer offenen Holzlaube möbliert. Abgeschlossen wird der Hof durch 2 1-geschossige, quergelagerte Zwischenbauten, die das Hauptgebäude einfassen. Dieses ist ein 2-geschossiges Haus von nahezu quadratischem Grundriß und hohem Zeltdach, das an seinen 3 Außenseiten von der Gartenterrasse eingefaßt ist. Der östliche Flankenbau ist zum Garten hin verlängert und mit einem fünfseitigen, aufgeglasten Erker ausgestattet. Die Gartenterrasse ist von einer Bruchsteinmauer mit Brüstung, im Südosten halbkreisförmig auskragend, eingefaßt, unterhalb derer das Garten- und Waldgelände leicht abfällt. Sämtliche offenbar noch originale Fensteröffnungen mit schmalen Gewänden sind mit Sprossenfenstern und Fensterläden mit Lamellen im unteren Teil versehen. Die hofseitige Eingangstür des ersten Hauptgebäudes ist ebenso aus der Erbauungszeit erhalten, ehedem wohl schiefergedeckt, hat heute eine Dachhaut aus Dachpappe mit Steinmuster. Der vordere Innenhof zeigt eine kleinteilige Natursteinpflasterung, die eine in der Mitte des Hofes stehende Wasserpumpe mit großem Sandstein-Bruchbecken einfaßt, auf welchem die Inschrift „Streithof“ zu lesen ist. Auch im Inneren ist teils noch originale Einrichtung aus der Erbauungszeit erhalten, wie im vorderen Hauptgebäude die Holzbalkendecke im EG (im heutigen Aufenthaltsraum), der Kamin, Holzvertäfelungen, Türen, der Treppenaufgang mit Zwischenpodest, wertvollen Intarsienarbeiten und kunstvoll durchbrochenem Brüstungsgeländer, holzverkleideten Untersichten im heutigen Speisesaal. Gravierende nutzungsbedingte Eingriffe oder Veränderungen in der Bausubstanz sind nicht feststellbar. Der Streithof ist heute ein vom Deutschen Roten Kreuz getragenes Fachkrankenhaus zur Behandlung suchtgefährdeter Patienten. In seiner architektonischen Gesamtkonzeption ist der Gebäudekomplex des Streithofes dem Typ des Landhauses zuzurechnen, der kurz nach der Jahrhundertwende, durch die Schriften Hermann Muthesius und seine Bautätigkeit nach der Rückkehr aus England 1904/05 sehr schnelle Verbreitung in den Garten- und Villenvororten der deutschen Großstädte finden sollte. Die bewußte Absage an den Villentyp des Historismus mit seiner „Repräsentation“ und die neue freie Grundriß- und Raumkonzeption in der Verknüpfung mit dem umgebenden Garten und der Landschaft waren - vor dem Hintergrund der eingangs dargelegten bildungsbürgerlichen Reformbewegung - ausschlaggebend, das Landhaus zum bevorzugten Bautyp des großstädtischen Bürgertums werden zu lassen. Von dem Vorbild des englischen Landhauses ausgehend, versuchte Muthesius in der Wahl der Formen auf deutsche Vorbilder - Bauernhäuser, kleinstädtische Häuser - zurückzugreifen und Repräsentation durch schlichte, im besten Sinne unscheinbare Formen zu vermeiden (wenn ihm dies auch nicht immer gelungen ist). War sein Versuch einer „Eindeutschung“ nicht gerade erfolgreich, so übte er doch großen Einfluß auf die Architektur seiner Zeit aus. Auch trafen sich seine Bestrebungen mit jenen der aus der Heimatschutzbewegung hervorgegangenen Heimatkunst bzw. Heimatarchitektur, die alle internationalen Tendenzen, vom Historismus bis zur Moderne, ablehnte und nur in der Anknüpfung an das Volkstum Aussichten für eine baukünstlerische Erneuerung sah. Sie suchte ihre baulichen Vorbilder in der vorindustriellen handwerklichen Kultur, die „heile Welt“ in den Ausdrucksformen des bäuerlichen und bürgerlichen Lebens, der „Hohepriester“ dieser Welt war der Handwerker. Als Teil der Biedermeierrezeption der Jahrhundertwende zu verstehen, nahm die Bewegung von Gabriel v. Seidls Münchener Nationalmuseum 1900 ihren Ausgang (und zeigt damit die geistige Verbindung mit dem neudeutschen Renaissancestil auf) und kam sehr bald bei vielen Baumeistern bürgerlicher Villen und Landhäuser, und a. auch Olbrich, Riemerschmid, Muthesius oder Paul Schulze-Naumburg zum Durchbruch. Während jedoch die führenden Architekten der Zeit sich nach und nach davon lösen sollten, führt von der Ideologie Paul Schulz-Naumburgs, mit seinem ab 1901 erscheinenden „Kultur-arbeiten“ die zentrale Figur des deutschen Heimatschutzes, ein direkter Weg zur „Blut- und Boden-Ideologie“ des Nationalsozialismus. Die Architektur des Streithofes ist deutlich sowohl von Muthesius Gedanken und Bauten, als auch von der Heimatschutzarchitektur beeinflußt. Die Schlichtheit der äußeren Erscheinungsform seiner Gebäude, die Dachformen, die Einbindung des Haupthauses in die Gartenterrasse, der 5-seitige Erker zum Garten und letztlich die Konzeption der Gartenterrasse in Verbindung zu der umgebenden Landschaft sind Elemente, die seine Bestrebungen widerspiegeln und besonders an seinen frühen Landhäusern in Berlin 1904-06 anzutreffen sind, wie z. B. in Zehlendorf, Knebeckstraße (1904/05), Schlachtensee, Bogotastraße 15 (ehem. Herderstraße) (1904/05), Grunewald, Winklerstraße 11 (1904/05), Dahlem, Bernadottestraße 56 oder Nikolaussee, Potsdamer Chaussee 49 (1906). Den in den Landhäusern von Grunewald und Dahlem sehr aufwendig gestalteten, von außen zugänglichen Hallen mit Kamin, Holz-balkendecken, Zwischenpodesten, Treppen, Vertäfelungen ist die Raumkonzeption der Eingangshalle im Streithof (Aufenthaltsraum) oder die Treppenanlage mit Podest im Speisesaal vergleichbar. Anders als bei Muthesius ist jedoch die Gruppierung der Wirtschafts-, Remisen- und Bedienstetengebäude um einen Hof und ihre Höhenstaffelung zu dem Haupthaus, die vergleichbar von Richard Riemerschmid 1904 in den Anwesen Mailik bei Dresden verwirklicht wurde (hier auch Zeltdächer, Laterne, Ladeluke, schlichte Baukörper, bruchsteinumrahmte Toreinfahrt). Beide stehen unter dem Einfluß der Heimatschutzarchitektur, insbesondere der Kulturarbeiten Schulze-Naumburgs, ist jedoch bei beiden die direkte Anknüpfung an die bäuerliche Architektur unverkennbar. So ist die Pumpe mit Auffangbecken im gepflasterten Innenhof zunächst als Dorfbrunnen zu sehen, weitergehend dieser Innenhof aber auch als mittelalterlicher Burghof zu interpretieren. Ebenso ist der Wirtschaftshof der mittelalterlichen Vorburgarchitektur nachempfunden. Diese „altdeutschen“ d. h. Renaissance-Elemente der maßgeblich mitteldeutschen Heimatkunst verpflichteten Bauelemente setzen sich im Bau fort bis in die Eingangshalle, die nicht allein die Ideologie Schulze-Naumburgs, sondern vor allem des Bauherren, Emil Kirdorfs, widerspiegelt. Es ist bekannt, daß Kirdorf zu den frühen Förderern der Nationalsozialisten gehörte, auf dem Streithof Hitler empfing, in dessen Beisein sein Staats-begräbnis erfolgte. Die schlichten, kubischen Formen der geschlossenen Baukörper mit den steilen Walm- und Zeltdächern werden sich wenig später in vielen Bauten der Gartenstadtbewegung z. B. an den Bauten Muthesius und Riemerschmids in der Gartenstadt „Hellerau“ wiederfinden. Der Streithof ist ein guterhaltenes Zeugnis der auch in der Baukunst ausgetragenen ideologischen Auseinandersetzungen der romantisierenden bildungsbürgerlichen Reformbewegungen der Jahrhundertwende. Den frühen Landhäusern führender Architekten der Zeit zeitgleich und vergleichbar, ist er von baugeschichtlicher Bedeutung. Als erstes Anwesen innerhalb des Broich-Speldorfer Waldes errichtet, kommt ihm darüber hinaus sowohl siedlungs-geschichtliche als auch stadtentwicklungsgeschichtliche Bedeutung und Damit und in der Person seines Erbauers Kirdorf ist der Streithof zudem von ortsgeschichtlicher und zeitgeschichtlicher Bedeutung. Der Streithof erfüllt somit die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 DSchG NW. Er ist bedeutend für die Geschichte des Menschen. Seine Erhaltung liegt aus wissenschaftlichen, besonders baugeschichtlichen, siedlungsgeschichtlichen, zeitgeschichtlichen und ortsgeschichtlichen Gründen im öffentlichen Interesse. Literatur: ▪ Franz Rolf Krapp/Wolfgang Peukert, Die schönen Häuser von Mülheim an der Ruhr. Mülheim an der Ruhr 1984, S. 66-69 ▪ Neue Deutsche Bibliographie, Bd. 11, Berlin 1977, S. 666 - 668 ▪ Werner Hartung, Denkmalpflege und Heimatschutz im Wilhelminischen Deutschland 1900 bis 1913. In: Österr. Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, XLIII, H. ¾ 1989, S. 173-176 ▪ Hermann Muthesius, 1861-1927. Ausstellung in der Akademie der Künste vom 11.12.1977 bis 22.01.1978. Katalog Berlin 1977. ▪ Richard Riemenschmid, Vom Jugendstil zum Werkbund. Katalog zur Ausstellung. München 1982. ▪ K. Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindlichkeit. Studien zur Großstadtfeindlichkeit und „Landflucht“bekämpfung. Meisenheim 1970.